Blessed - Für dich will ich leben (German Edition)
auch so zu befriedigen: „Ich ... habe gelesen. Die unendliche Geschichte von Michael Ende. Ein Buch, das meiner Mutter gehörte. Er wusste nicht, dass ich es hatte.“
„Du warst eingeschlossen?“ Das war eigentlich keine Frage, sondern eher eine bittere Feststellung. Dass es so gewesen sein musste, hatte ich zwischen seinen Zeilen herausgelesen.
Noah seufzte; das unterschwellige Beben in seiner Stimme trieb mir eine Gänsehaut auf die Unterarme. „Ja. In einem kleinen Raum, der wohl eigentlich als Abstellkammer gedacht war.“
Der Versuch, die Worte um den Knoten in meinem Hals zu bilden, mis slang. Ich konnte kaum sprechen, es kam nur ein heiseres Krächzen: „Und dort war es dunkel.“ Dieses Mal ließ ich es nicht wie eine Frage klingen, denn plötzlich gaben einige seiner Äußerungen einen bitteren Sinn. „Auf keinen Fall düster. Es muss hell sein!“ , klang es in meinen Ohren wider.
„Nicht vollkommen dunkel, aber ... sehr düster , ja“, bestätigte Noah.
„Wie lange hat er dich misshandelt?“, schoss es über meine Lippen. Das war die schwerwiegendste Frage von allen. Die, die mich am meisten quälte. Wie lange hatte mein Engel diese Hölle erleiden müssen ?
„Etwa vier Jahre lang.“
Ich schluckte. Vergeblich. Mit dem nächsten Atemzug entwich mir ein zittriges Wimmern, und ich wusste, dass Noah bei dem Ton zusammenschreckte.
„Am Anfang war es nicht so schlimm“, beeilte er sich hinzuzufügen. „So richtig furchtbar wurde es erst, als wir immer wieder umzogen und keiner mehr wusste, dass die neuen Nachbarn ein Kind hatten. Irgendwann wusste niemand mehr, dass es mich überhaupt gab.“
„Warum ist die Polizei in euer Haus gekommen?“ Das war bereits die vierte Frage, aber Noah ließ mich gewähren.
„Er ... Doug hat mit Drogen gedealt. Sie sind ihm auf die Schliche gekommen. Mit mir hatte das nichts zu tun, sie haben mich nur durch Zufall gefunden. In letzter Sekunde.“
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. „Gott, Noah! Es bricht mir das Herz, mir vorzustellen ...“
„Tu es nicht!“, befahl er barsch. „Was macht es für einen Sinn, in der Vergangenheit zu wühlen ? Es tut nur weh, sonst nichts.“
Ich spürte, dass es an der Zeit war, dieses Gespräch zu unterbrechen. Seine Geduld war für den Moment überstrapaziert, wer konnte es ihm verübeln? Nein, wir müssten weiterhin unsere Mikro -Schrittchen gehen, dem großen Ziel entgegen, Noahs Wunden ausheilen zu lassen.
„Ich würde dich so gerne küssen“, gestand ich.
„Schließ die Augen!“, sagte er, und ich gehorchte aufs Wort.
„Ich küsse dich jetzt“, begann Noah leise und entlockte mir damit ein unkontrolliertes Seufzen.
„Nicht deinen Mund, Em. Zuerst deine Augenlider. Das rechte, mit dem winzigen Muttermal, von dem du selbst wahrscheinlich nicht einmal weißt, dass es da ist. Und nun das linke, mit der kleinen runden Narbe unter der Augenbraue. Woher hast du diese Narbe?“
„Windpocken“, antwortete ich atemlos. Die Illusion war perfekt. Es wirkte tatsächlich so, als würde er mein Gesicht aus nächster Nähe betrachten.
„W ie alt warst du?“
„Keine Ahnung! ... Sechs, glaube ich. Gerade in der Schule.“
„Hm. Nun küsse ich deine Nase, streiche mit meiner Nasenspitze über deine.“
Das tat er oft – und ich liebte es.
„Jetzt die Stelle, wo dein Grübchen erscheint, wenn du lachst. Auf deiner rechten Wange. Und dann unter deinem Mundwinkel, auf der linken Seite, wo das andere Grübchen auftaucht. Aber nur, wenn du grinst, ein einfaches Lächeln reicht dafür nicht aus. So oft habe ich die ses Grübchen noch nicht gesehen. Aber ich möchte es öfter sehen, am liebsten jeden Tag.“
„Küss meinen Mund! “, hauchte ich schamlos.
Noah schmunzelte; ich hörte sein unverkennbares kleines Schnauben. „Das tue ich. ... Und in wenigen Stunden tue ich es tatsächlich, aber jetzt solltest du schlafen, Em. Was hältst du davon, wenn ich dich morgen abhole?“
„Okay.“
„Um elf?“
„Hm -hm.“
„In Ordnung, dann schlaf jetzt.“
„Schläfst du?“, fragte ich ängstlich.
„Ich versuche mein Bestes“, versprach er. „Träum süß!“
„Ja, du auch .“
Damit legten wir auf.
An Schlaf war natürlich nicht zu denken. Ich war aufgekratzt, überladen, hibbelig. Ich musste etwas tun, meinen Gefühlen Ausdruck verleihen. Und plötzlich hatte ich eine Idee. Also stand ich auf und setzte mich an meinen Schreibtisch. Mitten in der Nacht schrieb ich das erste
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