Blick in Den Abgrund -3-
wachsam. »Davy wird nicht begeistert sein, wenn du hinter seinem Rücken all diese nicht autorisierten herzzerreißenden Geschichten erzählst. Männer hassen so etwas.«
Raine reckte trotzig das Kinn vor. »Nun, ich bin momentan auch nicht gerade begeistert von Davy. Ich finde, er verhält sich egoistisch, launisch und grob. Darum erzähle ich so viele herzzerreißende Geschichten über ihn, wie ich will.«
»Na schön. Solange du nur hinterher nicht mir die Schuld gibst.«
»Es gibt also noch mehr?«
»Nur die, wie seine Mutter starb«, fuhr Raine fort. »Erin hat sie mir erzählt. Sie lebten abgeschieden in den Bergen, weit hinter Endicott Bluff. Es war tiefster Winter, und der Schnee lag einen Meter hoch. Sie hatte eine Eileiterschwangerschaft und verblutete, während sie versuchten, sie ins Krankenhaus zu bringen. Davy fuhr ihren Truck. Connor zufolge hat er anschließend monatelang nicht gesprochen.«
Margots Magen stürzte in ein bodenloses eisiges Nichts. Sie stand auf und musste sich an der Tischkante festhalten. »Bitte, entschuldigt mich.«
»Ist alles in Ordnung?« Seths und Raines besorgte Mienen wurden unscharf und verschwommen.
»Ich muss nur … mal eben auf die Toilette.« Sie drehte sich um und prallte an einer smokingtragenden Männerbrust wie an einer robusten Mauer ab. »Oh! Davy.«
»Wo willst du hin?«, knurrte er. »Um Himmels willen, du weinst ja wieder. Was habt ihr beiden zu ihr gesagt?«
Raine zuckte unschuldig ihre schmalen Schultern.
Davy stellte Margots Handtasche auf ihren Stuhl, legte den Arm um ihre Taille und zog sie auf die Tanzfläche. »Komm, lass uns tanzen.«
Mehrere Paare bewegten sich bereits zu dem langsamen sentimentalen Stück, unter ihnen auch die Braut und der Bräutigam. Sie tauchten aus ihrer verträumten Glückseligkeit auf und musterten Margot neugierig.
»Herzlichen Glückwunsch«, rief Margot ihnen zu.
»Danke«, erwiderten sie unisono, und das war das Ende des Gesprächs, denn Davy führte Margot eilig in eine andere Richtung.
»Was haben Seth und Raine dir erzählt?«, wollte er wissen.
»Wir haben über dich gesprochen. Raine hat mir erzählt, wie deine Mutter starb.«
Margot stolperte über seine Füße, als er abrupt stehen blieb. Er fing sie geschmeidig auf. »Verdammt!«, fluchte er leise. »Das hat mir gerade noch gefehlt.«
»Bitte sei nicht böse auf Raine. Ich war neugierig, deshalb habe ich sie danach gefragt.«
»Das ist nicht der springende Punkt!«
»Der springende Punkt? Wann gibt es den schon?«
Er wirbelte sie von sich weg und zog sie grimmig wieder in seine Arme. »Wozu muss man immer uralte Geschichten ausgraben?«, fragte er. »Ich habe diesen Impuls nie verstanden! Es gibt aktuelle Probleme, über die man sich den Kopf zerbrechen sollte, ohne die alten aufzuwärmen.«
Er hatte recht, trotzdem brachte sein Ausbruch sie aus der Fassung. »Was ist eigentlich los mit dir?«, fauchte sie. »Du bist sauer auf Seth, auf Raine, auf Tamara, auf jeden. Entspann dich mal, Davy!«
»Das kann ich nicht«, sagte er zähneknirschend. »Sie gehen mir alle auf den Wecker. Außerdem hat es mir nicht gefallen, welche Psychospielchen Tamara mit dir getrieben hat.«
»Ich glaube nicht, dass sie Böses im Sinn hatte«, verteidigte Margot sie. »Wahrscheinlich ist das ihre Art, mit Menschen umzugehen, und sie kennt es nicht anders. Ehrlich gesagt, mochte ich sie – auf eine verrückte Art. Und bei ihren Spielchen kann ich mithalten. Wenn ich mit dir fertig werden kann, werde ich mit Tamara doch dreimal fertig.«
Davy spannte die Kiefermuskeln an. Er lehnte Margot weit nach hinten und hielt sie in dieser Position, in der sie ihm hilflos ausgeliefert war. »Fang du nicht auch noch an, mich zu nerven.«
Mit einem Ruck richtete er sie auf. Sie blinzelte benommen. »Für einen solch freudigen Anlass bist du aber furchtbar mies drauf.« Sie guckte in seine grimmigen Augen, als ihr eine Eingebung kam. »Du sorgst dich um deinen Bruder, weil er so glücklich ist, nicht wahr? Du hast Angst, dass er tief fallen könnte.«
Davy verstärkte den Druck um ihre Taille. »Müssen wir das analysieren?«
»Oder ist es die pure Eifersucht? Begehrst du das, was er hat? Liebe, Romantik, Glück bis ans Ende aller Tage? Jeder wünscht sich das, ob er es zugibt oder nicht.«
Davys Miene wurde ausdruckslos. »Nein, verflucht!«
»Hmm«, murmelte Margot. »Das war eine heftige Antwort auf eine harmlose Frage. Ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen,
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