Blick in Den Abgrund -3-
sie lebte und sie vermisste.
Angst und Schuldgefühle besiegten diesen Impuls. Nach dem, was Craig und Mandi zugestoßen war, durfte sie ihre Freundinnen nicht so leichtfertig in Gefahr bringen. Ihre Einsamkeit war keine ausreichende Rechtfertigung. Ganz egal, wie schlimm es wurde.
Margot wünschte sich, mit ihrer Mutter sprechen zu können. Nur war sie mittlerweile seit acht Jahren, fast neun, tot, dahingerafft vom Lungenkrebs. Vielleicht schwebte sie ja irgendwo im Äther umher und hielt ein wachsames Auge auf ihre glücklose, naive Tochter. Ein leicht tröstlicher Gedanke. Wenn auch ein wehmütiger.
Sie musste den Verstand verloren haben, dass sie McCloud heute in seinem Dojo aufgesucht hatte – getrieben von dem Wunsch, zumindest einen streng zensierten Teil ihrer Leidensgeschichte bei jemandem abzuladen, der kein Hund war. Mikey war ein guter Zuhörer, nur konnte er nicht mit vielen brauchbaren Ratschlägen aufwarten. Der Kickbox-Lehrer, Sean – sie konnte kaum fassen, dass dieser fröhliche Sonnyboy mit seinen Grübchen der Bruder des beängstigend hinreißenden Davy McCloud sein sollte – hatte das Keine-Kohle-Thema abgetan, als wäre dies kein Problem. Abgesehen davon hatte sie nur auf einen Grund gewartet, sich Davy McCloud aus der Nähe anzusehen, als Anregung für ihre Fantasie sozusagen. Und die brauchte sie dringend. Die Nächte konnten lang werden für ein Mädchen, das sich vor dem Einschlafen fürchtete.
Es war eine verdammte Schande, dass er so groß war. Dazu nur ein paar Pakete von einem Waschbrettbauch entfernt und die bizarren Dinge, die er sagte. Der Geist des Drachen, herrje!
Mikey hob den Kopf und knurrte. Jedes von Margots Körperhaaren richtete sich auf. Dann hörte sie ein hartes, gebieterisches Klopfen, und das Entsetzen, das sie erfasst hatte, fiel von ihr ab und ließ sie mit schwammigen Knien zurück.
Snakey würde niemals so klopfen. Tatsächlich würde er überhaupt nicht klopfen. Er würde wie eine stinkende Dunstschwade durch ein Kanalisationsrohr wabern und mit einem feucht klingenden Ploppen aus dem Abfluss im Bad schlüpfen.
Gott, wie ekelhaft! Gut gemacht, Erbsenhirn! Jetzt lehrte sie sich schon selbst das Fürchten.
Es klopfte wieder, kurz und geschäftsmäßig. Mikey kletterte aus seinem Körbchen. Margot sah an sich runter, als sie ihm zur Haustür folgte. Die Brüste lagen frei und ungebändigt unter ihrem Superman-T-Shirt, die Haare waren feucht und standen wirr nach allen Seiten ab, und ihr Gesicht musste in Ermangelung jedweder kosmetischer Hilfsmittel oder Abdeckcremes in dem gnadenlosen Licht der nackten Glühbirne tapfer für sich selbst einstehen.
Selbst wenn sie sich die größte Mühe gäbe, könnte sie die Situation nicht noch ungünstiger für sich selbst hinbekommen.
Mikeys Krallen klackten über das Linoleum, sein Hinken hatte er vollständig vergessen. Margot schnappte sich im Schlafzimmer ihren Kamm und versuchte ihre Haare zu bändigen, während sie durch den Spion blinzelte. Kein Zweifel. Er war es. Ihr Herz begann zu rasen. Sie schaute wieder nach draußen, betrachtete die markante Kontur seines Unterkiefers, seinen grimmigen und doch unglaublich erotischen Mund. Die Linien, die ihn umrahmten, bewiesen, dass er wusste, wie man lächelte. Vielleicht tat er es nur im Dunkeln, wenn niemand zusah. Emotional blockiert, ganz eindeutig. Ihrer Erfahrung nach waren solche starken, schweigsamen Männer in der Regel langweilig und geistlos.
Sie hatte ihm gesagt, dass er sie in Ruhe lassen sollte. Er war zu groß, zu seltsam, zu ernst für sie. Und auch zu neugierig. Sie durfte ihm ihre groteske Geschichte nicht anvertrauen.
Sie müsste eigentlich stinkwütend sein und würde es nun vortäuschen müssen. Das erforderte Energie, und wo sollte sie die hernehmen?
Es klopfte schon wieder. War das zu fassen? Seine königliche Hoheit verlor die Geduld. Das verlieh ihr die nötige Entschlossenheit, die Tür aufzureißen und ihn unheilvoll anzublinzeln. »Ich habe Nein gesagt, mein Freund.«
Davy sah sich auf der Veranda um. »Haben Sie hier den Hund gefunden?«
Ihre vorgespielte Verärgerung löste sich in Luft auf. Sie schluckte schwer und nickte.
»Irgendwelche weiteren Vorkommnisse?«
In seiner Stimme lag eine kühle Sachlichkeit, als hätte er einen Schalter umgelegt, woraufhin ein spezieller Mechanismus zu knirschen und zu rattern begann.
»Hey.« Sie streckte die Hand aus der Tür und wedelte vor seinem Gesicht herum. »Haben Sie gehört, was ich
Weitere Kostenlose Bücher