Blick in Den Abgrund -3-
holte sie aus der Küche ein paar Plastiktüten. Sie rannte durchs Haus, packte Besteck, Teller, Hundefutter und Leckerbissen ein. Geschirrspülmittel, Schwämme. Mikeys Näpfe und Korb, einen Dosenöffner. Kosmetikartikel, Handtücher, Haarfärbemittel, den Quilt, ein Kissen, Kleidung. Den Blumenelfen-Kalender, der sie an ihre Mutter erinnerte. Die Poster, damit sie nicht vergaß, dass es jenseits dieses stinkenden Höllenlochs Anmut und Schönheit gab. Ihren Skizzenblock, ihr Tagebuch. Ihr einziges hübsches Kleid samt Schuhen – ihre unbesonnenen Lustkäufe, mit denen sie sich belohnt hatte – wanderte in eine eigene Tüte. Den Schlangenanhänger stopfte sie in die Tasche ihrer bequemen Jeans, wo er einen hässlichen Klumpen bildete. Sie warf den Korb mit den Kämmen, Haarnadeln und ihren wenigen Schminkartikeln in die letzte Tüte, und das war’s. Ihr Leben, reduziert auf fünf Plastikeinkaufstaschen. Sie war hier fertig.
Auf zum Pfandleiher. Sie sah sich verstohlen um und hastete zum Auto. Vielleicht beobachtete Snakey sie genau in diesem Moment. Sie sollte irgendein brillantes Ablenkungsmanöver initiieren, um ihn an der Nase herumzuführen.
Genau. Wie was, zum Beispiel?
Scheiß drauf! Sie konnte nur tun, was in ihrer Macht stand.
Faris spähte durch das leistungsstarke Fernglas und beobachtete, wie Margaret das Pfandhaus am Capitol Hill, zehn Minuten nachdem sie es betreten hatte, verließ. Seine Augen folgten ihr hungrig, als sie wieder in ihren Wagen stieg. Ihr knappes Tanktop gab die Sicht auf einen Streifen Haut an ihrem Bauch frei. Es störte ihn. Sobald sie erst die Seine wäre, würde er ihr nicht mehr erlauben, vulgäre Kleidung zu tragen.
Margaret fuhr los. Faris wartete, bis ihr Auto um die Ecke gebogen war, bevor er in das Pfandhaus ging. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das wenige Licht, das durch das trübe Fenster hereinfiel. Ein dürrer Kerl um die vierzig saß hinter einer Glasvitrine voller Armbanduhren, Schmuck und Schusswaffen. Der Mann grinste, sodass sein Zahnfleisch sichtbar wurde.
»Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?«
Freundlich lächelnd näherte Faris sich dem Tresen. »Es würde mich interessieren, was die junge Dame, die eben gegangen ist, versetzt hat.«
Der Mann lachte wiehernd und bleckte große gelbliche Zähne. »Kann ich Ihnen nicht verdenken. Ich hab der Puppe angeboten, dass ich ihr ’nen Zwanziger extra zahle, wenn sie mir ihre Telefonnummer gibt, aber diese versnobten, eingebildeten Tussen sind alle gleich. Die gucken sogar noch, wenn das Glück sie verlassen hat, auf einen Mann, der einer regelmäßigen Arbeit nachgeht, runter.« Der Pfandleiher bemerkte Faris’ starre Miene. »Scheiße, Sie sind doch nicht ihr Ehemann oder so was?«
Faris rang sich ein Lächeln ab. »Noch nicht.«
Das nervöse Lachen des Mannes klang wie Hundegebell. »Äh, ach so!«
Faris wartete. »Darf ich sehen, was sie versetzt hat?«, wiederholte er.
Der Mann fasste hinter sich und hielt den Schlangenanhänger hoch. Er legte ihn auf den Tresen. »Achthundert Mäuse«, sagte er übereifrig.
»Ich gebe Ihnen fünfhundert.«
Der Pfandleiher zog einen beleidigten Flunsch. »Keine Chance. Dieses Prachtstück ist aus purem Gold. Antik noch dazu. Sein Wert liegt bei mindestens … mindestens …«
»Dann eben sechs«, bot Faris an, amüsiert über die diebische Freude, die in den Augen des Mannes aufblitzte. Schließlich konnte er es sich leisten, großzügig zu sein, und dem Mann ein letztes Glücksgefühl gönnen, bevor er starb. Er hatte das Symbol des geheimen Schlangenordens gesehen und berührt. Es durfte keinen Zeugen von Margarets Verkauf und Faris’ Kauf geben. Außerdem würde es ein nettes Aufwärmtraining für die weiteren anstrengenden Aktivitäten dieses Tages sein.
»Bevor Sie die Quittung ausstellen, könnten Sie die für mich herunterholen?« Faris drehte sich um und zeigte auf eine verstaubte, saitenlose Gitarre, die hoch oben an der Wand hing. »Ich würde sie mir gern ansehen.«
Der Pfandleiher reagierte verwirrt. »Klar, ich denke schon, aber ich habe jede Menge besserer Instrumente, wenn Sie ein paar davon sehen wollen …«
»Danke, aber ich würde mir gern diese anschauen«, insistierte Faris.
Der Mann verdrehte die blutunterlaufenen Augen und erhob sich gemächlich aus seinem Stuhl. Sein magerer Körper ertrank in den weiten Klamotten, und seine Bewegungen setzten einen Schwall Ausdünstungen frei, der nach Schweiß und abgestandenem Zigarettenqualm
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