Blick in Den Abgrund -3-
Marcus hatte Zugriff auf eine nie versiegende Quelle an Pharmazeutika.
Sie riss ihm die Pillen aus der Hand, fischte eine heraus und steckte sie sich mit der Verzweiflung einer verlorenen Seele in den Mund. So jung, und trotzdem war sie innerlich längst tot. Sein Überraschungsangriff würde ein Akt der Gnade sein, um sie davon abzuhalten, weitere Schande über sich zu bringen. Wie unendlich traurig. Für einen Moment liebte er sie fast. Er war nun ihre Erlösung. Ihre einzige Hoffnung.
Das Mädchen warf den Kopf nach hinten, schaute zu dem fahlen frühabendlichen Himmel hinauf, die Augen geweitet, und strahlte in erwartungsvoller Vorfreude. »Das wird so geil werden«, gurrte sie. »Oh Mann, ich liebe Sie.«
»Ich liebe Sie auch«, antwortete Faris und meinte es von ganzem Herzen.
Er traktierte mit der Fingerspitze drei Druckpunkte an ihrer Wirbelsäule. Seine peitschenartigen Bewegungen folgten derart schnell aufeinander, dass das Mädchen nur wimmern und röcheln konnte. Die Nadeln waren nicht nötig. Jede Situation erforderte ihre eigene Technik. Jedes Mal traf er sein Ziel sicherer. Der Tod selbst führte ihm die Hand. Er verstand sein Geschäft.
Das blonde Mädchen sackte auf die Knie, dann fiel es hin. Es rollte sich auf die Seite und formte ein schwarzes Lederkomma auf dem Boden, die Haare eine bleiche Flamme vor dem dunklen Staub und Geröll, die Augen aufgerissen und starr. Das Tütchen fiel ihr aus der Hand, und die Pillen verteilten sich auf der Erde.
Faris vergewisserte sich, dass sie ungestört waren, bevor er neben ihr in die Hocke ging. Geduldig und respektvoll hielt er bei ihr Wache, bis die Zuckungen einsetzten.
Er stand auf und überprüfte seine Fußabdrücke. Zum Glück war der Boden unter dem losen Geröll trocken und hart. Er verneigte sich kurz vor seinem zuckenden, japsenden Opfer.
Dann stieg er ins Auto und fuhr davon.
9
Sie hatte den Verstand verloren. Sich zu einem Abendessen überreden zu lassen, obwohl sie längst die ersten Hundert Kilometer auf der Straße nach Nirgendwo zurückgelegt haben sollte.
An ihrem Wein nippend, schlenderte Margot durch Davys Haus. Seine betörende Kombination aus Charme und Dominanz überwältigte sie jedes Mal wieder. Sogar heute Abend, wo sie es sich am wenigsten leisten konnte. Trotzdem war sie unwahrscheinlich froh, ihn ein letztes Mal sehen zu dürfen.
Mikey rannte schwanzwedelnd ins Wohnzimmer, um ihr den Knochen zu präsentieren, den Davy ihm überlassen hatte. Mikey war in Partylaune. Er wollte ihr sein Glück zeigen, bevor er dorthin zurücktrottete, wo die eigentlich spannenden Dinge geschahen.
Wunderbare Düfte entströmten der Küche. Sie hätte ahnen müssen, dass Davy McCloud ein fabelhafter Koch war. Der gute Cabernet atmete in einem Dekanter auf dem Tisch. Pilze mit Knoblauch brutzelten in einer Pfanne auf dem Herd. Er hatte den Holzkohlegrill auf der Terrasse angeworfen und eine aromatische Brise bewegte das Wasser des Lake Washington. Margot trank noch einen Schluck und ermahnte sich, nur nicht zu sehr zu entspannen. Ihre Deckung fallen zu lassen, war ein Garant dafür, in die Pfanne gehauen zu werden. Andererseits wurde sie sowieso in die Pfanne gehauen, ob sie ihre Deckung nun fallen ließ oder nicht. Es mochte dumm von ihr sein, aber hier fühlte sie sich sicher.
Davy McClouds schönes Zuhause war geräumig und behaglich. Ein Seegrundstück in Madrona. Respekt. Die Detektei musste wirklich einträglich gewesen sein. Margot spähte in ein großes Büro mit Bücherregalen an den Wänden, zwei Computern, einem Laptop und einer Vielzahl nicht identifizierbarer elektronischer Geräte. Das große, tiefer gelegene Wohnzimmer beeindruckte durch weiche silbergraue Sofas und Sessel, einen hellen Berberteppich, einen schweren, leicht zerschrammten hölzernen Kaffeetisch und ein Panoramafenster mit Blick auf den Lake Washington. Wehmütig dachte sie an ihr eigenes Haus am Parsons Lake in San Cataldo zurück. Gott, wie sie es geliebt hatte! Mitsamt Schimmel, Stechmücken und allem anderen.
Davy besaß ein umwerfendes Audio- und Videosystem. Die Kunst an den Wänden bestand hauptsächlich aus Tuschzeichnungen, schwarz-weißen Landschaftsfotos und ein paar geschmackvollen, unaufdringlichen Gemälden von der Art, die mit ein paar wenigen, aussagekräftigen Pinselstrichen auskam. Gemütlich, stilvoll, extrem maskulin, trotzdem hätte das Haus ein paar Farbtupfer vertragen können. Auf dem Sims des offenen Kamins stand eine Reihe von
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