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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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Goldstream Park fuhr, dachte ich an einen Tanklaster, der hier kürzlich umgestürzt war, als ein betrunkener Fahrer die Kontrolle über seinen Truck verloren hatte. Reinigungsteams hatten Tage gebraucht, um die kontaminierte Erde abzutragen, doch für die Fische war es zu spät gewesen. Das Benzin war durch ihre Kiemen eingedrungen und hatte sie binnen Minuten getötet.
    Ein schrecklicher Fehler, und es dauerte Jahre, um es wiedergutzumachen.

    Oben auf dem Malahat-Highway bog ich in Richtung Shawnigan ab und beschloss, zur Kinsol-Holzbrücke zu laufen und mir anzusehen, wie die Reparaturarbeiten vorankamen. Von dem Sturz bei Garret tat mir zwar der ganze Körper weh, aber vom Schotterparkplatz aus ging man nicht lange, und vielleicht half der Spaziergang, meine Muskeln zu lockern. Ich hoffte, dass sich dadurch auch meine Stimmung aufhellen würde oder zumindest meine Gedanken, so dass ich in dem Nebel, der mich umgab, klarer sehen konnte. Ich stellte den Wagen ab, nahm meine Handschuhe und schlüpfte in die Wanderstiefel, die ich immer im Kofferraum dabeihatte, dann ging ich den Schotterweg bergab. Ich erinnerte mich noch daran, dass hier früher Eisenbahnschienen und Schwellen gelegen hatten, deren Holz im Sommer heiß und klebrig vom Teer war.
    Als ich die Brücke erreichte, blieb ich stehen und bewunderte das majestätische Bild, das sich mir bot. Mehr als einhundertachtzig Meter Fachwerkbalken bildeten einen Bogen über den Fluss und mündeten auf der anderen Seite im Wald. Bewaldete Bergketten, so weit das Auge reichte. Ich konnte den Fluss nicht sehen, er war vermutlich mehr als fünfzig Meter unter mir, aber ich hörte ihn. Ein paar große Maschinen parkten auf der anderen Seite, und metallene Baustellengitter versperrten den Zugang, aber ich fand eine Stelle, an der ich darunter hindurchkriechen konnte. Ich ging auf die Brücke, die jetzt nur noch aus einem Bohlenweg bestand, und erinnerte mich, dass wir uns als Kinder gegenseitig dazu angestiftet hatten, so lange zu bleiben, bis der Zug kam, und immer davonrannten, sobald wir den Pfiff hörten. Der letzte Zug hatte die Brücke 1979 überquert.
    Seitdem hatte sich viel verändert.
    In der Mitte der Brücke lehnte ich mich gegen das Geländer, ließ mir die Brise aus dem Tal ins Gesicht wehen und sog den Duft der Fichtenwälder und die klare, kalte Bergluft ein. Ich atmete tief ein und versuchte, den Kopf freizubekommen. Aber ich konnte nicht anders und ging jeden Moment von Lisas Kindheit durch, dachte an all die Zeiten, in denen ich sie mit Garret allein gelassen hatte. Ich war ihre Mutter. Ich hätte sie beschützen müssen, hätte sehen müssen, was geschah.
    Ich blickte hinunter in den Fluss und dachte an meine eigene Mutter, als ich rechts von mir eine Bewegung wahrnahm. Ich schaute auf und stellte fest, dass jemand auf die Brücke zukam. Als ich begriff, dass es ein einzelner Mann war, versteifte ich mich. Ließ Aaron mich von jemandem beschatten? Ich hielt den Atem an und stieß ihn erleichtert wieder aus, als die Züge des Mannes besser zu erkennen waren und ich den Schäferhund neben ihm sah. Als Robbie mich erreichte, war sein Gesicht gerötet, und er atmete stoßweise, als sei er schnell gegangen.
    »Was tust du hier oben?«
    »Ich musste ein wenig nachdenken. Und was tust du hier?«
    »Ich habe auf einer Baustelle am Ende der Straße gearbeitet und deinen Wagen erkannt – du hast dieses Park-Dings für Krankenhausmitarbeiter an deinem Rückspiegel.«
    Ich nickte. »Stimmt.« Ich sah wieder hinunter ins Wasser. »Weißt du noch, wie wir damals als Mutprobe so lange wie möglich auf der Brücke geblieben sind, bis der Zug kam?«
    Robbie stützte die Ellenbogen auf das Geländer und sah sich um. »Wir haben es nie geschafft. Dad hätte uns umgebracht, wenn er gewusst hätte, was wir treiben.«
    Ich lachte leise, als ich mich neben Robbie auf das Geländer stützte und dachte, dass der Zug uns wahrscheinlich weniger gefährlich erschienen war als der Vater.
    »Worüber musst du nachdenken?«, fragte er.
    Während ich überlegte, was ich darauf antworten sollte, griff Robbie in seine Tasche, immer noch auf der Suche nach seinen Zigaretten. Als er sie nicht fand, schüttelte er den Kopf. »Dieser verdammte Köter.« Der verdammte Köter blickte zu ihm auf, drehte sich ein paarmal im Kreis und legte sich dann zum Schlafen hin.
    Ich holte tief Luft und spuckte alles aus. Ich hatte nicht vorgehabt, alles zu erzählen, nicht das mit Garret oder was er

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