Blick in Die Angst
ich das Gefühl, nicht allein zu sein. Ich hielt inne und schaute mich um, jede Nervenfaser in Alarmbereitschaft, doch ich sah nie irgendetwas, so dass ich es auf den Stress schob oder auf einen übereifrigen Reporter.
Eines Abends kam ich von der Arbeit und stieg gerade aus dem Auto, als ich links von mir eine Bewegung wahrnahm. Ich starrte angestrengt in Richtung Friedhof und sah einen Schatten, der sich rasch entfernte. Ich stürzte ins Haus und rief Kevin an. Er kam vorbei und sah sich um, fand jedoch nichts. Ich ermahnte mich, dass ich müde und schreckhaft sei, wahrscheinlich hatte nur ein Nachbar seinen Abendspaziergang gemacht.
Eine Woche später war ich in meinem Gartenschuppen, als ich feststellte, dass meine Blumenschere nicht dort war, wo sie hingehört. Ich hängte sie immer an die Wand, aber jetzt lag sie neben einem meiner Bonsais, an dem ich vor kurzem gearbeitet hatte. Ich betrachtete die Zweige. Angst schoss durch meinen Körper. Jemand hatte einen davon abgeschnitten.
38. Kapitel
Die Polizei sah sich um und nahm sogar Fingerabdrücke von der Schere, doch der Griff war schmutzig gewesen, und sie fanden nur meine Abdrücke darauf. Ich musste den Zweig selbst abgeschnitten haben, obwohl ich mich absolut nicht mehr daran erinnern konnte. Ich sprach mit Kevin über meine zunehmende Angst, und wir überlegten, ob es sich um eine pathologische Paranoia handeln könnte, eine verzögerte posttraumatische Stressreaktion. Ich wäre beinahe umgebracht worden, genau wie mein Bruder, und ich kämpfte mit immensen Schuldgefühlen wegen all der Toten. Zudem musste ich damit fertig werden, dass meine Tochter den Brand vermutlich nicht überlebt hatte. Mehr als ein Monat war seitdem vergangen, und noch immer hatte sie niemand gesehen. Niemand hat sich auf die Plakate, die wir aufgehängt hatten, gemeldet. Ich klammerte mich an den kleinsten Strohhalm und rief mir in Erinnerung, wie geschickt sie darin war, ihr Aussehen zu verändern und einfach von der Bildfläche zu verschwinden. Doch ich fürchtete, dieses Mal war meine Tochter für immer verschwunden. Selbst wenn sie einfach nur verschwunden und an jenem schrecklichen Tag nicht gestorben war – es blieb dabei, dass meine Tochter fort war.
Am Unglücksort war eine Gedenkstätte entstanden. Nachdem die ersten Ermittlungen abgeschlossen und die menschlichen Überreste geborgen waren, hatte man einen Maschendrahtzaun um das Gelände gezogen, und ein Officer bewachte den Zugang. Seit Wochen kamen Menschen vorbei, legten Blumen und Andenken am Zaun nieder und zündeten Kerzen an. Ich wollte selbst ein Geschenk hinbringen und fragte Sergeant Pallan, ob ich als Familienangehörige das Gelände der Kommune betreten dürfte. Sergeant Pallan erhielt die Erlaubnis, mich hineinzubegleiten. Kevin kam ebenfalls mit.
Ich war bislang noch nicht einmal am Grundstück vorbeigefahren, da ich mich dem Anblick nicht gewachsen fühlte, doch jetzt glaubte ich, dazu bereit zu sein. Aber als wir durch das Tor rollten und ich die verkohlten Überreste der Gebäude sah, stockte mir der Atem, als hätte mich jemand mit aller Kraft in den Magen geboxt. Als mir die Tränen kamen, schlug ich die Hände vor den Mund. Angesichts der Zerstörung schüttelte ich stumm den Kopf und dachte an die Menschen, die auf grausamste Weise gestorben waren. Als wir aus dem Wagen stiegen, fragte Kevin: »Bist du sicher, dass du das willst?«
Ich nickte und sah mich um. Es war ein warmer Tag, und das Erste, was mir auffiel, war der Geruch, der übelkeitserregende Gestank von Feuer und Rauch. Kein wohlriechender, harziger Duft wie bei einem Kaminfeuer, sondern eine Mischung aus allem, was in Flammen aufgegangen war. Was einst wunderschöne Gebäude und ansprechende Grünanlagen gewesen waren, lag jetzt verstreut und auseinandergerissen und ausgebrannt da. Das Fundament war noch zu erkennen, ein paar geschwärzte, unförmige Wände und Teile des Gebäudes standen noch. Die Bäume in der Nähe der abgebrannten Gebäude hatten ebenfalls gelitten, Stämme und Zweige waren verkohlt. Das Absperrband der Polizei flatterte im Wind.
Wir legten unseren Strauß zu dem großen Haufen außerhalb des Tores. Ein Blumenmeer der Trauer, das sich in beide Richtungen erstreckte. Wir ließen uns Zeit, die Gedichte und Gedanken zu lesen, die die Menschen am Zaun befestigt hatten. Weinend betrachtete ich die Bilder der Opfer, die von ihren Angehörigen hiergelassen worden waren, die Andenken und Stofftiere. Eine
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