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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chevy Stevens
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können, dass seine Frau gestorben war? Ich hatte ihm versichert, dass ihr nichts passieren könnte – hatte es ihm zugesichert .
    »Dr. Lavoie?« Daniel klang jetzt eindeutig alarmiert. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ich rufe wegen Ihrer Frau an.« Ich musste es so behutsam und rasch wie möglich sagen. »Heather wurde heute Abend hier auf der Station leblos aufgefunden. Wir haben versucht, sie wiederzubeleben, aber es war zu spät. Die genaue Todesursache kennen wir noch nicht, aber es sieht so aus, als hätte sie ihn selbst herbeigeführt. Ich möchte, dass Sie wissen, dass wir alles unternommen haben, um sie zu retten.«
    Am anderen Ende der Leitung hörte ich ihn scharf einatmen, als würde er nach Luft schnappen. »Ich verstehe nicht. Was ist passiert?« Sein Verstand verarbeitete das Gehörte nur langsam und wurde von einem wirbelnden Strudel erfasst. Meine Worte waren noch nicht mit ihrer ganzen Schwere zu ihm durchgedrungen.
    »Wir werden mehr wissen, sobald der Coroner seine Untersuchung abgeschlossen hat.« Ich holte Luft, um mich zu stärken. Es gefiel mir nicht, dass ich ihm keine Einzelheiten nennen durfte, aber die Gefahr eines Rechtsstreits war zu groß. Das Krankenhaus würde jemanden benennen, der sich um die weitere Kommunikation kümmerte.
    »Wie ist sie gestorben?« Er klang entsetzt und schockiert.
    In meinem Kopf tauchten instinktiv Bilder von Heather auf, wie sie sich vor Schmerzen auf dem Boden wand und ihre Kehle umklammerte, während die Speiseröhre in Flammen zu stehen schien.
    »Es tut mir leid. Das weiß ich im Moment noch nicht.«
    »Ich verstehe es einfach nicht. Ich habe sie heute Morgen gesehen. Es ging ihr besser als seit Tagen – sie hat mir immer wieder gesagt, wie sehr sie mich liebt.«
    Ich hörte seine herzzerreißende Verwirrung. Der Verstand versuchte, logisch zu denken und eine Begründung zu finden: Eins plus eins ergibt zwei. Nach Pauls Diagnose hatte ich es genauso gemacht. Er musste nur ordentlich essen, zur Chemotherapie gehen und positiv denken. Er würde den Krebs besiegen. Doch so funktioniert das Leben nicht. Gute Männer sterben vor ihrer Zeit, und Patienten finden trotz bester Fürsorge immer noch einen Weg, sich selbst zu zerstören.
    »Ja, es schien ihr tatsächlich besserzugehen.« Ich brachte es nicht über mich, ihm zu erklären, dass Suizidpatienten oftmals genau dann ihr Vorhaben zu Ende bringen, wenn sie anfangen, sich wieder besser zu fühlen – dann haben sie die Energie, es durchzuziehen. Heather hatte mir zwar erzählt, dass sie nicht daran dachte, sich etwas anzutun, aber vermutlich hatte sie es schon eine ganze Weile geplant und nur auf die passende Gelegenheit gewartet. Ich dachte daran, wie verzweifelt sie gewesen sein musste, um solch einen schmerzhaften Tod zu wählen.
    Vor meinem inneren Auge blitzte ihr Gesicht auf, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, dieses Lächeln. Es war wehmütig gewesen. Sie sind eine gute Ärztin. Hatte sie versucht zu verhindern, dass ich mir die Schuld gab für das, was sie vorhatte? Ich dachte an Kevin, dem sie an diesem Tag ebenfalls gedankt hatte. Selbst ihre Liebesbeteuerungen Daniel gegenüber ließen sich jetzt als Worte des Abschieds interpretieren.
    Daniels Stimme wurde hart und anklagend. »Sie haben gesagt, sie wäre sicher – Sie haben versprochen , dass ihr nichts zustoßen würde.«
    Wut und Schuldzuweisungen waren der nächste Schritt. Ich hatte damit gerechnet, und trotzdem spürte ich den Schlag. Der Schmerz vermengte sich mit meinen eigenen Schuld- und Reuegefühlen.
    »Ich weiß, dass das ein unglaublicher Schock ist und dass Sie bestürzt–«
    »Bestürzt? Meine Frau ist gerade gestorben – als Sie auf sie aufpassen sollten!«
    Ich wählte meine Worte mit Bedacht, kämpfte mit meinem Bedürfnis, ihn zu trösten, und der Notwendigkeit, das Krankenhaus zu schützen. »Ihr Verlust tut mir aufrichtig leid. Jemand wird sich bald mit Ihnen in Verbindung setzen. Man wird Ihnen in der nächsten Zeit jede erdenkliche Unterstützung zukommen lassen.«
    Ich war froh, dass ich ihm nicht bei den nächsten Schritten beistehen musste. Ich wollte nicht über ihren Tod hinwegfegen und zu den praktischen Dingen übergehen müssen: wann er ihre persönlichen Habseligkeiten abholen könnte, was mit den sterblichen Überresten geschehen sollte. Meine Augen brannten, als ich daran dachte, was in den nächsten Tagen alles auf ihn zukommen würde. »Sie sollten im Moment nicht allein sein. Gibt es jemanden, den

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