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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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leichtes Gipfelpicknick genießt.«
    »Wenn ich ein solcher Bergsteiger wäre, dann würde ich mich verdammt ärgern.«
    »Nun, es gilt als ziemlich unhöflich, per Flugzeug auf einem Gipfel zu landen, den andere zur selben Zeit mit großen Mühen erklimmen, aber so was kann geschehen, und es geschieht. Die guten Sitten verlangen, dass das Picknick geteilt wird und dass jene, die mit dem Flugzeug gekommen sind, Ehrfurcht und Hochachtung für die Leistung der Bergsteiger zum Ausdruck bringen.
    Der Punkt ist natürlich, dass die Leute, die Schweiß vergossen und Strapazen auf sich genommen haben, genauso gut ein Flugzeug zum Gipfel hätten nehmen können, wenn es ihnen um nichts anderes als nur die schöne Aussicht gegangen wäre. Ihnen geht es jedoch um den Kampf. Das Gefühl, etwas geleistet zu haben, entsteht durch den Weg zum Gipfel und zurück, nicht durch den Gipfel an sich. Das ist nur der Knick in der Landschaft zwischen den Seiten.« Der Avatar zögerte. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und kniff die Augen zusammen. »Wie weit muss ich diese Anologie noch ausführen, Ziller?«
    »Du hast deutlich gemacht, was du meinst, aber dieser Bergsteiger wird sich dennoch fragen, ob er sich nicht umbesinnen und sich dem Genuss des Fliegens hingeben soll, um dann seinerseits auf dem Gipfel eines anderen Bergsteigers zu landen.«
    »Es ist besser, wenn man sich seinen eigenen Gipfel schafft. Kommen Sie; ich muss einen Sterbenden auf seinem Weg begleiten.«
     
    Ilom Dolince lag auf dem Sterbebett, umgeben von Freunden und Verwandten. Die Planen, die das hintere Oberdeck des Kahns überspannt hatten, während dieser die Wasserfälle hinabgeschwebt war, waren zurückgeschlagen worden und gaben das Bett der Luft frei. Ilom Dolince richtete sich auf, halb eingesunken in schwebende Kissen und auf einer flockigen Matratze liegend, die passenderweise, so dachte Ziller, ungefähr wie eine Kumuluswolke aussah.
    Der Chelgrianer hielt sich im Hintergrund, am Schluss eines Halbmondes von sechzig oder mehr Leuten, die um das Bett herum saßen oder standen. Der Avatar ging ans Lager des Alten, ergriff seine Hand und beugte sich zu ihm hinab, um zu ihm zu sprechen. Er nickte, dann winkte er Ziller heran, der so tat, als habe er nichts gesehen, und sich angelegentlich mit der Betrachtung eines grellbunten Vogels beschäftigte, der über das milchig weiße Wasser des Flusses flog.
    »Ziller«, sagte die Stimme des Avatars aus dem Stiftterminal des Chelgrianers. »Bitte, kommen Sie her. Ilom Dolince möchte Sie gern kennen lernen.«
    »Eh? Oh. Ja, natürlich«, sagte er. Er kam sich ausgesprochen linkisch vor.
    »Kst. Ziller, es ist mir eine große Ehre, Sie kennen lernen zu dürfen.« Der Alte schüttelte dem Chelgrianer die Hand. Aus der Nähe sah er eigentlich gar nicht so alt aus, obwohl seine Stimme sehr schwach klang. Seine Haut war weniger faltig und gefleckt als bei vielen Menschen, die Ziller gesehen hatte, und das Haupthaar war ihm noch nicht ausgefallen, obwohl es seine Pigmentierung verloren hatte und weiß wirkte. Sein Händedruck war nicht besonders kräftig, aber Ziller hatte gewiss schon schlaffere gespürt.
    »Ah. Danke. Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie… äh… etwas von Ihrer Zeit opfern wollten, um… äh… einen fremdweltlichen Notenbastler kennen zu lernen.«
    Der weißhaarige Mann im Bett sah traurig, ja geschmerzt aus. »Oh, Kst. Ziller«, sagte er, »es tut mir Leid. Ihnen ist bei der Sache nicht so ganz behaglich, stimmt’s? Ich bin sehr selbstsüchtig. Ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass mein Sterben Ihnen vielleicht…«
    »Nein, nein! Ich… ich… nun ja, stimmt.« Ziller merkte, dass sich seine Nase verfärbte. Er ließ den Blick über die anderen um das Bett Versammelten schweifen. Sie sahen mitleidig, verständnisvoll aus. Er hasste sie. »Es kommt mir einfach nur merkwürdig vor. Das ist alles.«
    »Darf ich, Komponist?«, sagte der Mann. Er streckte die Hand aus, und Ziller ließ es zu, dass er wieder die seine ergriff. Diesmal war der Griff schwächer. »Unsere Art zu leben muss Ihnen seltsam erscheinen.«
    »Nicht seltsamer, als Ihnen die unsere erscheinen muss, dessen bin ich sicher.«
    »Ich bin bereit zu sterben, Kst. Ziller.« Ilom Dolince lächelte. »Ich habe vierhundertundfünfzehn Jahre lang gelebt. Ich habe die Chebalyths von Eyske in ihrer Dunkelhimmel-Wanderung gesehen, habe beobachtet, wie Feldkreuzer die Solarflammen im Hohen Nudrum skulptiert haben, ich habe

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