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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Aussicht bestand, dass er Worosei wiedersehen würde. Dann gewann der Lastwagen wieder Bodenhaftung, fuhr langsam aus dem Wasser und rumpelte weiter.
    Der Dreck aus Asche und Wasser rann durch die hintere Öffnung hinaus und legte die Toten frei, die bedeckt waren mit Grau wie mit Leichentüchern.
    Der Lastwagen fuhr häufig Umwege, um Einschlagkratern und größeren Vertiefungen auszuweichen. Er überquerte schwankend zwei wackelige, dürftige Brücken. Ein paar Fahrzeuge rauschten in die entgegengesetzte Richtung an ihnen vorbei, und einmal hörten sie den Überschallknall zweier Flugzeuge über ihnen, die so tief flogen, dass Staub und Asche aufstoben. Kein Fahrzeug überholte den Wagen.
    Er wurde versorgt, wenn auch nur notdürftig, und zwar von den beiden Unsichtbaren-Sanitätern, die von ihrem Befehlshabenden Offizier Anweisung erhalten hatten, sich um ihn zu kümmern; genau genommen waren sie Ungehörte, eine Kaste, die nach den Maßstäben der Loyalisten über den Unsichtbaren standen. Die beiden schienen zu schwanken zwischen Erleichterung, weil er überleben und sie vielleicht mit einem Teil seines Lösegeldes bedenken würde, und Groll, weil er überhaupt am Leben geblieben war. Er hatte ihnen im Kopf die Namen Scheiße und Furz gegeben und hielt sich stolz etwas darauf zugute, dass er sich überhaupt nicht an ihre eigentlichen Namen erinnern konnte.
    Er gab sich Tagträumen hin. Meistens ging es dabei darum, dass er Worosei einholen und sie nicht wissen würde, dass er überlebt hatte, sodass es für sie eine riesengroße Überraschung wäre, wenn sie ihn wiedersehen würde. Er versuchte, sich ihren Gesichtsausdruck vorzustellen, die Abfolge eines wechselnden Mienenspiels, die er vielleicht sehen würde.
    Natürlich würde es sich ganz bestimmt nicht so abspielen. Sie würde sich genau so verhalten wie er, wenn die Umstände umgekehrt wären; sie würde versuchen, sich über sein Schicksal Gewissheit zu verschaffen, in der Hoffnung, wie gering diese Hoffnung auch sein mochte, dass er überlebt hatte. Sie würde es also herausfinden oder man würde ihr eine entsprechende Nachricht übermitteln, sobald seine Errettung bekannt würde, und er würde diesen Ausdruck in ihrem Gesicht niemals sehen. Dennoch konnte er sich ihn in Gedanken vorstellen, und er verbrachte Stunden damit, genau dieses zu tun, während der Lastwagen ratternd und quietschend über die Sinterebene rumpelte.
    Er hatte ihnen seinen Namen genannt, nachdem er wieder hatte sprechen können, aber anscheinend hatte er sie nicht interessiert; das Einzige, das ihnen offenbar etwas bedeutete, war die Tatsache, dass er adelig war, mit den Waffen und Schmuckstücken zur Kennzeichnung eines Adeligen. Er wusste nicht so recht, ob er sie an seinen Namen erinnern sollte oder nicht. Wenn er es täte und sie ihn ihren Vorgesetzten mitteilen würden, dann würde Worosei um so schneller erfahren, dass er noch am Leben war, doch ein abergläubischer, vorsichtiger Teil seines Ichs hatte Angst davor, es zu tun, denn er konnte sich vorstellen, dass man es ihr sagen würde – und sich eine unwahrscheinliche Hoffnung erfüllen würde –, und er konnte sich ihren Gesichtsausdruck in diesem Augenblick vorstellen, doch er konnte sich auch vorstellen, dass er immer noch sterben könnte, denn sie waren nicht fähig gewesen, seine Verletzungen angemessen zu behandeln, und er wurde immer schwächer, seine Kräfte ließen immer mehr nach.
    Es wäre zu grausam, wenn man ihr mitteilen würde, dass er gegen jede Wahrscheinlichkeit überlebt hatte, und dann müsste sie später erfahren, dass er seinen Verletzungen erlegen war. Also hielt er sich in dieser Hinsicht fürs Erste zurück.
    Wenn die Aussicht bestanden hätte, dass er für seine Errettung oder für einen schnelleren Transport hätte bezahlen können, dann hätte er sich mehr ins Zeug gelegt, aber er verfügte über keine unmittelbaren Zahlungsmittel, und die Loyalisten-Streitkräfte – zusammen mit irgendwelchen Freibeutern, die möglicherweise für beide Seite akzeptabel sein mochten – waren noch weiter in ihren heimatlichen Raum um Chel herum zurückgefallen und gruppierten sich neu. Es war einerlei. Worosei würde dort sein, bei denen. In Sicherheit. Er stellte sich beharrlich weiterhin ihren Gesichtsausdruck vor.
    Er fiel ins Koma, bevor sie die Überreste der zerstörten Stadt Golse erreichten. Die Lösegeldübergabe und sein Transfer fanden statt, ohne dass er irgendetwas von dem Geschehnis in bewusstem

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