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Blicke windwärts

Blicke windwärts

Titel: Blicke windwärts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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»Verzweiflung? Nun, allenfalls kurzfristig, wenn man zum Beispiel bei der Lösung einer Aufgabe zunächst verzweifelt und es dann doch schafft, oder bei irgendeinem Spiel oder sportlichen Wettkampf einen Sieg erringt, um den man verzweifelt gekämpft hat. So kann Verzweiflung den Erfolg versüßen.«
    »Das ist keine Verzweiflung«, widersprach Ziller ruhig. »Das ist ein zeitweiliges Unbehagen wegen einer voraussichtlichen Enttäuschung. Ich meinte nichts so Geringfügiges. Ich meinte die Art von Verzweiflung, die die Seele auffrisst, die die Sinne so sehr vergiftet, dass jedes Erlebnis, wie erfreulich es auch sein mag, von bitterer Galle durchtränkt wird. Die Art von Verzweiflung, die einem den Gedanken an Selbstmord eingibt.«
    Kabo schaukelte nach hinten. »Nein«, sagte er. »Nein. Sie können hoffen, das hinter sich gelassen zu haben.«
    »Ja. Aber sie hinterlassen es in ihrem Kielwasser für andere.«
    »Ah.« Kabo nickte. »Ich glaube, wir berühren jetzt das Schicksal Ihres eigenen Volkes. Nun ja, einige empfinden deswegen eine Zerknirschung, die der Verzweiflung nahe kommt.«
    »Wir haben das zum größten Teil selbst verursacht.« Ziller zerkrümelte einen Tabakklumpen in seine Pfeife, stopfte ihn mit einem kleinen silbernen Instrument hinein und brachte weitere Rauchwolken hervor. »Wir hätten ohne die Hilfe der Kultur zweifellos einen Krieg vom Zaun gebrochen.«
    »Nicht notwendigerweise.«
    »Da bin ich anderer Ansicht. Ohne Rücksicht auf Verluste; zumindest wären wir nach einem Krieg gezwungen gewesen, uns mit unseren eigenen Dummheiten auseinanderzusetzen. Die Beteiligung der Kultur bedeutete, dass wir die Verwüstungen des Krieges erleiden mussten, ohne in den Genuss zu kommen, aus der Lektion etwas zu lernen. Wir gaben stattdessen einfach der Kultur die Schuld. Außer unserer vollkommen Zerstörung hätte das Ergebnis kaum schlimmer sein können, und manchmal habe ich das Gefühl, dass selbst das eine ungerechtfertigte Ausnahme ist.«
    Kabo schwieg eine Weile. Blauer Rauch stieg aus Zillers Pfeife auf.
    Ziller war einst Begabter-unter-Berührten Mahrai Ziller VIII. von Wescrip gewesen. Als Spross einer Familie von Verwaltungsbeamten und Diplomaten, war er beinahe von seiner Kindheit an ein musikalisches Wunder gewesen und hatte sein erstes Orchesterwerk in einem Alter komponiert, in dem die meisten chelgrianischen Kinder noch lernen mussten, dass sie ihre Schuhe nicht essen durften.
    Er hatte sich die Bezeichnung Begabter selbst zugelegt – zwei Grade unter der Kaste, in die er hineingeboren worden war –, nachdem er von der Hochschule geflogen war, zum großen Kummer seiner Eltern.
    Obwohl er in seiner Laufbahn zu höchstem Ruhm und Wohlstand gelangte, bereitete er ihnen weiterhin Kummer, was so weit ging, dass sie von Krankheit und Zusammenbruch erschüttert wurden, als er ein radikaler Kastenverweigerer wurde und als Äquilitarier in die Politik ging, indem er seinen Status benutzte, um für das Ende des Kastensystems zu plädieren. Allmählich änderte sich die öffentliche und politische Meinung; es sah immer mehr danach aus, als würde die lang beschworene Große Wende endlich eintreten. Nach einem misslungenen Anschlag auf sein Leben kehrte Ziller seiner Kaste vollends den Rücken und wurde deshalb zum Niedersten der nicht kriminellen Niederen: ein Unsichtbarer.
    Einem zweiten Mordversuch entging er nur um Haaresbreite; als Folge davon rang er ein Vierteljahr lang im Krankenhaus mit dem Tod. Es wurde viel darüber gemutmaßt, ob die Monate, die er dem politischen Gedränge fern bleiben musste, die entscheidende Wandlung bewirkt hatten, doch unbestreitbar war, dass sich, als er genesen war, die Gezeiten wieder gedreht hatten, die Wende rückwärts hatte eingesetzt, und jegliche Hoffnung auf eine durchgreifende Veränderung schien mindestens für eine Generation zunichte zu sein.
    Zillers musikalisches Wirken hatte während der Jahre seiner politischen Tätigkeit gelitten, zumindest quantitativ. Er ließ verlauten, dass er sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen gedenke, um sich aufs Komponieren zu konzentrieren, wodurch er seine früheren liberalen Verbündeten vor den Kopf stieß und die Konservativen, die seine Feinde gewesen waren, entzückte. Dennoch und trotz des großen Drucks, dem er ausgesetzt war, blieb er bei seinem Status als Unsichtbarer – obwohl er in zunehmendem Maße als Geschenkter Ehrenhalber behandelt wurde –, und er ließ nie irgendwelche Anzeichen einer

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