Blicke windwärts
Selbstzweck, oder sie vertrödeln einfach ihre Zeit. Und natürlich gehen viele von ihnen in Kunst und Handwerk auf.« Kabo setzte ein Lächeln auf und breitete die drei Hände aus. »Ein paar komponieren sogar Musik.«
»Sie verbringen irgendwie ihre Zeit. Das ist alles. Sie verbringen die Zeit mit Reisen. Die Zeit lastet schwer auf ihnen, weil sie kein fest umrissenes Umfeld haben, weil ihnen der Rahmen für ihr Leben fehlt. Sie hoffen ständig, dass irgendetwas, das sie an dem Ort zu finden hoffen, zu dem sie unterwegs sind, ihnen die Erfüllung bescheren wird, von der sie sicher sind, dass sie sie verdienen, ohne ihr jedoch auch nur im Geringsten nahe gekommen zu sein.«
Ziller runzelte die Stirn und klopfte gegen seinen Pfeifenkolben. »Einige reisen unermüdlich hoffnungsvoll durch die Gegend und werden ständig enttäuscht. Andere, die sich etwas weniger selbstbetrügerisch verhalten, finden sich damit ab, dass der Vorgang des Reisens an sich keine Erfüllung bietet, und fühlen sich dann erleichtert, weil sie nicht mehr dem Zwang unterliegen, dass sie erfüllt sein müssten.«
Kabo beobachtete ein Sprungbein, das in den Bäumen von Ast zu Ast hüpfte; das rötliche Fell und der lange Schwanz waren gesprenkelt von den Schattenflecken der Blätter. Er hörte die schrillen Stimmen von Menschenkindern, die neben dem Haus spielten und im Schwimmbecken herumplanschten. »Ach, Ziller! Zweifellos empfindet jede intelligente Spezies bis zu einem gewissen Grad so.«
»Wirklich? Die Ihre auch?«
Kabo spielte mit den weichen Falten der Vorhänge neben dem Balkonfenster. »Wir sind viel älter als die Menschen, aber ich glaube, auch wir haben so gedacht – einst.« Er sah den Chelgrianer an, der in dem ausladenden Sitz so zusammengekauert war, als ob er zum Sprung ansetzen wollte. »Alles aus der Natur hervorgegangene und weiterentwickelte Leben ist ruhelos.
In einem bestimmten Maßstab oder in einem gewissen Stadium.«
Anscheinend dachte Ziller über diese Bemerkung nach, dann schüttelte er den Kopf. Kabo war sich nicht sicher, ob er mit dieser Geste ausdrücken wollte, dass er etwas zu Albernes von sich gegeben hatte, als dass es einer Antwort wert wäre, ob er sich eines abgeschmackten Klischees bedient hatte oder einen Punkt zur Sprache gebracht hatte, auf den der Chelgrianer keine angemessene Erwiderung fand.
»Es verhält sich so«, sagte Ziller, »dass sie sich unter sorgsamer Beachtung oberster Prinzipien ein Paradies errichtet haben, indem sie alle scheinbar stichhaltigen Beweggründe für einen Konflikt in ihren eigenen Reihen widerlegten und alle natürliche Gefahren ausschlossen…« Er hielt inne und blickte missmutig zum Licht der Sonne, das auf der vergoldeten Bordüre seines Sitzes glänzte – »nun ja, fast alle natürliche Gefahren. Doch dann fanden diese Leute ihr Leben so hohl, dass sie falsche Versionen solcher Art von Abscheulichkeiten erfinden mussten, nachdem unzählige Generationen ihrer Vorfahren ihr Dasein in dem Bemühen geopfert hatten, eben jene zu besiegen.«
»Mir kommt das so vor, als ob man jemanden deswegen kritisiert, weil er sowohl einen Schirm als auch eine Dusche besitzt«, sagte Kabo. »Die Auswahl ist das Entscheidende.« Er zupfte die Vorhänge symmetrisch zurecht. »Diese Leute steuern ihre Schrecknisse. Sie können auswählen, ob sie sie vervielfältigen, sie wiederholen oder sie vermeiden. Das ist nicht dasselbe, wie unter dem Vulkan zu leben, wenn man gerade das Rad erfunden hat, oder sich zu fragen, ob der Damm brechen und das ganze Dorf ertrinken wird. Wiederum gilt das für alle Gesellschaften, die sich über den Status des Barbarentums hinaus entwickelt haben. Hier gibt es kein großes Mysterium.«
»Aber die Kultur besteht so beharrlich auf ihrem Utopismus«, sagte Ziller in einem – wie Kabo fand – beinahe verbitterten Ton. »Sie ist wie ein Kind, das ein Spielzeug unbedingt haben will, nur um es dann wegzuwerfen.«
Kabo schaute eine Weile zu, wie Ziller an seiner Pfeife paffte, dann ging er durch die Rauchwolke und ließ sich im Kleeblattsitz auf dem fingertiefen Teppich neben der Couch des anderen nieder.
»Ich glaube, das ist ganz natürlich und ein Zeichen dafür, dass man sich als Spezies erfolgreich behauptet hat; was anfangs als Notwendigkeit hatte ertragen werden müssen, wird zum vergnüglichen Sport. Selbst Angst kann entspannend und erholsam sein.«
Ziller sah dem Homomdaner in die Augen. »Und Verzweiflung?«
Kabo hob die Schultern.
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