Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
lautete sein Name plötzlich «Hundescheiße». Natürlich hätte ich mir direkt von Herrn Qin einen wohlriechenderen Namen besorgen lassen können, doch der wollte dafür einen Riesenbatzen Geld. Blieb mir also nur das bekannte Arme-Leute-Medium Internet. Da gibt’s mit www.mandarintools.com einen kostenlosen Service, der bei Eingabe des Originalnamens und einiger Details in Sekundenschnelle einen chinesischen Qualitätsnamen verspricht, mit dem man sich auch in Kanton nicht zum Gespött macht. Ich probierte es aus, doch die Seite spuckte immer wieder andere Namen aus. Mal war ich Herr Xue, mal Herr Xing und mal Shi. Was dachten sich die Tool-Erfinder? Dass ich mich bei den Diplomatenempfängen hier in Peking alle zehn Minuten mit einem anderen Namen vorstelle?
Ich hielt es dann zunächst einmal wie der eingangs erwähnte Bekannte. Seit der Demütigung auf der Polizeiwache trug der in jedes Formular, das nach seinem chinesischen Namen fragte, nur noch drei Schriftzeichen ein. Es sind diese hier:
Beim Lesen verstehen dann selbst Chinesen nur noch «Bahnhof».
PS: Ich bekam dann später doch noch einen Namen. Mein chinesischer Schwiegervater fand die richtigen Zeichen und die dazugehörige gute Bedeutung nach langem Nachdenken und Ausprobieren. Mein Name lautet jetzt kurz und knapp Ke Li Si, wobei das Zeichen für Ke «Axtstiel» bedeuten kann und die für «Li Si» etwa so viel wie «aufrecht stehen» und «denken». Damit bin ich sehr zufrieden. Woher ich aber den Schwiegervater habe, erzähle ich ein anderes Mal.
18 Kleine chinesische Fotolehre
Seit ewigen Zeiten konkurrieren Chinesen und Japaner darum, wer der tollste Ostasiat ist. Im Moment haben die Chinesen Oberwasser, während die Japaner am Boden liegen, ökonomisch und auch sonst. Galten Letztere beispielsweise früher auf dem Gebiet der Vielfotografie als Weltmeister, sind das seit der Einführung der Digitalkameras die Chinesen. Die fotografieren auf Reisen ohne Unterlass, aber nur sich gegenseitig. Eine Landschaft an sich, Vulkanausbrüche oder Tsunamis interessieren in China kaum mehr als der Untergang der europäischen Schuhindustrie. Dasselbe gilt für Gebäude, mögen diese sich auch noch so spektakulär verhalten. So hat gewiss nicht ein Chinese den Kollaps des World Trade Centers fotografiert. «Gähn», hätte ein zufällig am Ground Zero vorbeilaufender Tourist aus Peking gesagt. «Wieso soll ich das denn knipsen? Mutti, Vater oder Tochter sind ja nicht drauf.»
Für Chinesen haben nämlich Bilder nur dann einen Wert, wenn darauf Verwandte oder Bekannte abgebildet sind. Und so nehmen die denn überall im Lande Aufstellung. Vorm Mao-Porträt auf dem Tian An Men, an Abgründen und Schlünden, in Wüsten, neben ausbrechenden Vulkanen oder vor Tsunamis. Die zu Fotografierenden müssen sich dabei an bestimmte, wahrscheinlich uralte Regeln halten. Grundsatz Nummer eins: Stehe niemals natürlich da! Männer legen die Hände an die Hosennaht, ältere Frauen auch. Jüngere Frauen sollten sich in eine möglichst neckische Pose werfen und mit dem Zeige- und Mittelfinger das V-Zeichen machen, ebenso kleine Mädchen. Da können die für Urlaubsfotografie zuständigen Behörden noch so viele Vorschläge zur Dynamisierung des chinesischen Urlaubsfotos machen («Nutze den ‹Moment›, damit das Foto lebendig wirkt»): Halten tut sich niemand dran.
Wahrscheinlich stammen die alten Fotografierregeln bereits von Konfuzius (551 – 479 v. Chr.), dessen Ideen hier in den letzten Jahren angeblich mehr und mehr an Einfluss gewinnen. Konfuzius hat wohl auch gesagt: «Sorge dafür, dass dein Foto den Eindruck erweckt, Mutti, Vati und Tochter seien die einzigen Menschen auf der Welt.» Das zu realisieren ist in China allerdings so schwer, wie einen Mann zu fotografieren, der seinen eigenen Kopf verspeist (sorry, Matt Stone und Trey Parker), weil es eben fast überall im Land so brechend voll ist. So wundert es auch nicht, dass die Chinesen für ihre Fotos ganz besonders lange brauchen. Erst muss der Blutsverwandte die richtige unentspannte Haltung einnehmen, dann müssen auch noch Tausende von Mitmenschen vertrieben werden. Sollte also tatsächlich ein Chinese vor den brennenden Zwillingstürmen ein Foto gemacht haben, hat er den aus den Fenstern Springenden zugeschrien: «Los, schneller fallen. Ihr stört im Bild!»
Trotzdem wäre aus der Aufnahme nichts geworden. Für ein chinesisches Kunstfoto muss sich nämlich nicht nur der
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