Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
demnächst durch die Zimmerdecke brechen würde, las ich in einem Buch, dass die traditionelle chinesische Medizin Wind, Hitze, Feuer, Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit für Krankheitsauslöser hält, aber Krach, Krawall und Menschenmassen auf der Liste fehlten. Und so flog ich doch noch nach Berlin.
Hier ging ich in Kreuzberg zu einem deutschen Arzt, der mich genau examinierte. Er stellte fest, dass von Feuer in meinem Körper keine Rede sein konnte. Ich hatte Wasser in den Beinen, und meine Zunge war durch das viele Wasser in mir stark geschwollen. Jetzt war ich also zu nass. Der Arzt verordnete mir verschiedene Medikamente und schickte mich zu einer ganz bestimmten Apotheke in Schöneberg. Als ich eintrat, staunte ich nicht schlecht. Es roch ganz wie in meinem Pekinger Krankenhaus, und hinter dem Tresen stand eine Chinesin, die mir auf mein Rezept hin eine Packung mit kleinen Kügelchen überreichte. «Das hier hilft gegen Wasser im Körper und stärkt deinse Mitte.» Dabei lachte sie laut und herzlich. Mir gefror das Blut in den Adern: Es fehlte nur noch das «goede dag».
Trotzdem war ich bereit, der traditionellen chinesischen Medizin noch eine Chance zu geben. Und tatsächlich halfen die Kügelchen. Nach ein paar Wochen war ich völlig wiederhergestellt.
Aber insgeheim hege ich weiter Zweifel, was die traditionelle chinesische Medizin angeht. Waren diese ganzen Behandlungen nicht am Ende ein abgekartetes Spiel? Möglicherweise stecken die TCM-Ärzte in der ganzen Welt unter einer Decke und schieben sich gegenseitig die Patienten zu? Und wahrscheinlich sind an dem Deal auch noch ein paar internationale Fluggesellschaften beteiligt. Immerhin hat die Wasserdiagnose mich gut achthundert Euro für den Flug gekostet. Irgendjemand sollte sich mal um die Sache kümmern. Ich kann leider nicht. Ich fühle mich im Moment so hölzern.
31 Rechtssystem vom anderen Stern
Seit ich in China lebe, bin ich zur Hälfte falsch. Ich gehe in einem S. -Oliver-Parka spazieren, trage auf dem Rücken einen Nike-Rucksack, dazu Timberland-Hosen, die von einem Boss-Gürtel gehalten werden, und an den Füßen Puma-Sneaker. Alles Fake, selbst meine Unterhosen (Calvin Klein, 1,50 Euro das Stück). Nur mein Körper ist noch echt, bis auf ein paar Zähne.
Das halbe China ist so gefälscht wie ich. Allein 2006 wurden hierzulande von der Polizei dreißig Millionen Markenprodukte beschlagnahmt. Doch manche Kopien und Fälschungen werden noch nicht einmal als solche erkannt. Wenn ich will, kann ich in meinem Fake-Outfit gleich in ein halbes Dutzend verschiedener Fake-«Starbucks» gehen oder in ein Schnellrestaurant um die Ecke, dessen Logo so aussieht wie das von «Kentucky Fried Chicken», das aber «Yonghe Da Wang» heißt («Immer Zusammen Großer König») und in dem man Rindersuppen (echt) serviert. Ich könnte hier beim Suppeschlürfen mit meiner Promotionsurkunde wedeln, die ich für ein paar Euro auf der Straße gekauft habe, und mich danach an gefälschten Melonen (mit rotem Zuckerwasser geimpft) laben. In den Elektronik-Malls kann ich mir gefälschte Handys besorgen, gefälschte iPods und raubkopierte Software, in den Möbelgeschäften gefälschtes Holz und in der Drogerie eine Zahnseide namens «Heidelberg», die angeblich von einer Firma lizenziert wird, die «Bayerische Gesundheitsideologie GmbH» heißt, «Member of BGG Group, Germany». Es ist auch gefälschtes Mineralwasser zu haben, gefälschte Medizin, gefälschte Milch oder gefälschte Babynahrung. Da hört der Fake-Spaß dann so langsam auf.
Sehr amüsant ist dagegen Chinas erste Fake-Zeitung, die ich vor einiger Zeit in der U-Bahn erwarb. Sie heißt «Fa Zhi Mingxing», was «Rechtssystem Stern» bedeutet. Ein kleiner, etwas schmutziger Verkäufer hielt sie mir unter die Nase, wobei er mir die Schlagzeile zuschrie: «Andy Lau ist ermordet worden!» Eine Hammermeldung, denn Andy Lau, ein Sänger und Schauspieler (über hundert Filme) aus Hongkong, ist in China ein Megastar; obendrein gilt er als schönster Mann der Welt (= China). Wer in etwa verstehen will, was Lau für die Chinesen bedeutet, der stelle sich George Clooney, Pierce Brosnan und Richard Gere vor, vereint in einem Luxuskörper. Sein Tod wäre hier so was wie Nine Eleven hoch zwei.
Natürlich musste ich die Zeitung haben. Dafür zahlte ich auch gerne zwei Yuan, doppelt so viel wie für eine normale Tageszeitung. Als Erstes ließ ich mir von meiner bezaubernden Dolmetscherin das
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