Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
keine Action-Eigenschaften. Dafür waren sie, wie ich bald herausfand, besonders wertvoll. Das Pseudoginsengpulver, offenbar eine verlogene Ginseng-Abart, die im Süden Chinas gewonnen wird, trägt sogar den Beinamen «jin bu huan», was übersetzt so viel heißt wie: «nicht gegen Gold einzutauschen». Wie man dem armen Heilpflanzensammler das Kraut am Ende dann doch abgenommen hatte, will ich lieber nicht wissen. Das Perlenpulver dagegen stammt von echten Perlen. In früheren Zeiten wurde es als Kosmetikum benutzt, bevorzugt von chinesischen Kaiserinnen, die sich das teure Zeugs leisten konnten. Allerdings tranken sie das Pulver nicht, sondern rührten es an und trugen es als Paste auf die Haut auf. Das gute Antilopenhornpulver schließlich war noch wertvoller als die beiden anderen Medikamente zusammen. Es roch und schmeckte zwar wie ein Sack verbrannter Haare. Doch nachdem ich mich über die Saiga-Antilope informiert hatte, trank ich den stinkenden Tee mit großem Genuss. Dieses Tier, das eine auffällige Rüsselnase im Gesicht trägt, steht nämlich auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. Heute gibt es nur noch fünfzigtausend Saigas, hauptsächlich in entlegenen Gebieten Kasachstans und der Mongolei. Ihr Bestand ist hauptsächlich deswegen so stark geschrumpft, weil die Männchen wegen ihres heilbringenden Horns zu stark bejagt werden. Das ist natürlich nicht erfreulich. Aber besser, die Saiga-Antilope stirbt aus als ich.
Um die Behandlung zu unterstützen, ließ ich mich zusätzlich gleich noch akupunktieren. Sehr lustig fand ich, dass auch mein Akupunkturdoktor Zhang hieß. Dieser Doktor Zhang war allerdings eine Frau, die jedoch nicht mit dem ersten Doktor Zhang verwandt war. Auch sie war eine echte Meisterin ihres Faches, die zudem ein wenig Englisch sprach. «Die meisten Westler», erklärte sie mir gleich bei der ersten Sitzung, «haben völlig falsche Vorstellungen von Akupunktur. Zum Beispiel glauben sie, Akupunktieren täte nicht weh.» Tatsächlich kann ich bestätigen, dass das ein großer Irrtum ist. Ich bin nicht sonderlich schmerzempfindlich, aber bei jeder Nadel, die Frau Zhang in meine Arme und Beine stieß, durchfuhr mich ein Stromstoß, als hätte ich mit nassen Fingern in eine Steckdose gefasst. Dazu zuckten meine Beine wie bei einem epileptischen Anfall. «Das ist gut», sagte Frau Doktor kalt, «wenn es nicht wehtut, kann es nicht helfen.»
Und tatsächlich: Nach einer Weile begann die Kombination aus Antilopen- und Kräutertees und Nadelstromstößen zu wirken. Schon nach ein paar Wochen schlief ich wieder ziemlich gut. Nur hatte ich plötzlich neue gesundheitliche Probleme. In meinen Ohren pfiff der Tinnitus, im Stehen schwindelte mir, und sobald ich mich hinlegte, fing ich an zu zittern. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass mein Körper schwerer und schwerer wurde.
Dr. Zhang – nicht die Frau, sondern den VIP-Arzt – störte das wenig. «Immer noch zu viel Feuer», diagnostizierte er bei jedem neuen Termin stoisch. Er schrieb mir jedes Mal eine leicht veränderte Kräutermischung auf und komplimentierte mich dann laut lachend mit «goede dag» hinaus. So begann ich irgendwann der traditionellen chinesischen Medizin doch zu misstrauen. Zu gern hätte ich gewusst, was mir der Doktor außer den mir bekannten Pülverchen noch verschrieb. Doch selbst meine inzwischen aus Hongkong zurückgekehrte Dolmetscherin konnte die Rezepte nicht lesen, da Dr. Zhang eine Sauklaue hatte. Den Hang zum Krickelkrakel haben traditionelle chinesische und westliche Mediziner also auf jeden Fall gemein.
Mittlerweile wurde mir immer schwindliger, und ich fühlte mich bald so schwer wie ein Mittelklassewagen. Jetzt hatte ich wirklich Dr. Zhangs Medikamente in Verdacht. Enthielten sie vielleicht Arsen? Das wird in der chinesischen Medizin tatsächlich verwendet, und zwar gemäß dem Grundsatz: «Verwende Gift, um Gift auszutreiben.» Oder war Quecksilber in meinen Kräutern, wie in jenem TCM-Medikament, das 2004 in Großbritannien verboten wurde, weil es ganze dreizehn Prozent von dieser äußerst gefährlichen Substanz enthielt? Wurde ich deshalb so schwer, weil sich das ganze Perlenpulver in meinen Eingeweiden wie Gips verklumpte? Oder sollten Schwindel und Schwere am Ende so etwas wie der Fluch der Saiga-Antilope sein, die meinetwegen zum Aussterben verdammt war?
In Peking war das nicht herauszubekommen. Als ich schließlich das Gefühl hatte, so schwer zu sein, dass ich
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