Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
aus dem Kapitel «Höflichkeit und Berufsmoral beim Fahren»: «Wenn Fahrzeug eine Strecke befährt, wo Hupen verboten ist, soll man a) dennoch hupen b) nicht hupen und auf die Verkehrsicherheit beachten c) je nach der Verkehrslage hupen.» Die korrekte Antwort lautet ganz klar a), denn hierzulande ist die Hupe wichtiger als der Motor; sekündlich werden in Peking mehrere tausend Alte, Bresthafte und Kinder hupend von der Straße geblasen. Im Heft aber war b) angekreuzt.
Meine Verwirrung steigerte sich bei Fragen, die das Überholen oder aber das Verhalten am Fußgängerüberweg betrafen. Im echten China haben Autos eingebaute Vorfahrt, wobei gilt: je größer der Wagen, desto eingebauter. Doch diese Antwort stand nicht da. Stattdessen erklärten die Verfasser, dass Fußgänger auf Zebrastreifen Vorrang haben. Wo lebten diese Leute? Selbst der chinesische Schriftsteller Bo Yang schreibt: «Unser Zebrastreifen dient dazu, dich auf die Straße zu locken, damit du vom Auto überfahren wirst.» Wer in China als Fußgänger auf seinem «Recht» beharrt, dessen Überlebenschancen sind so groß wie die eines fieberkranken, nackten Mannes während des antarktischen Winters am Südpol.
Wollte man mich also töten? Oder mich nur in den Wahnsinn treiben? Viele «korrekte» Antworten widersprachen sich nämlich gegenseitig, ohne dass es dafür eine Erklärung gab. Beispiel: «Wenn man Fahrzeuge betrunken fährt, muss der Führerschein a) mehr als 1 Monat und weniger als 3 Monate beschlagnahmt werden.» Das stimmte. Doch bloß eine Seite weiter ging die richtige Antwort so: «Wenn man Fahrzeuge betrunken fährt, wird … der Führerschein mehr als 3 Monate und weniger als 6 Monate beschlagnahmt.» Genauso unlogisch ging’s an der Ampel zu. Einmal durfte ich bei Gelb noch schnell durchhuschen, zwei Antworten weiter war das streng verboten.
Weil ich nun wissen wollte, was wirklich Sache ist, besorgte ich mir die chinesische Version des Heftchens und ließ mir die Antworten übersetzen. Da wurde dann akkurat zwischen «Alkohol getrunken» und «betrunken sein» unterschieden, was ein unterschiedliches Strafmaß ja durchaus rechtfertigt. So ähnlich war das auch bei der gelben Ampel, die im ersten Fall noch blinkte, im zweiten aber bereits auf volles Gelb umgesprungen war. Auch die englische Fassung kannte diese Unterscheidungen. Fragt sich nur, warum sich ausgerechnet die deutschen Antworten widersprachen: a) aus Bösartigkeit b) aus Blödheit c) als Strafe für die tendenziöse deutsche Tibetberichterstattung?
Meine Prüfungsvorbereitungen wurden zusätzlich dadurch erschwert, dass ich beim Lernen dauernd lachen musste. Was tut man, wenn man Zeuge eines Verkehrsunfalls wird? «Bei Untersuchung des Verkehrsunfalls haben die Beteiligten die Pflicht, a) Verkehrsunfallverlauf zu erdichten.» Ja, genau. Und worauf muss der achten, der im Sommer ein Fahrzeug fahren will? Darf er «a) keine Pantoffeln tragen b) keine Pantoffeln tragen, weil das nicht höflich und unsicher ist c) beliebige Schuhe tragen». Nur b) ist richtig, aber erzählen Sie das mal einem Pekinger. Dann können Sie was erleben, denn «Fahrzeugfahrer können a) die anderen Fahrzeugfahrer herabwürdigen» bzw. «wenn Fahrzeugfahrer bei Fahren spucken will, a) kann er über den Fenster auf die Straße spucken» – und zwar Ihnen direkt vor die Füße.
Am Ende verfluchte ich mich, dass ich blindlings das deutsche Heft gewählt hatte. Was ein «Ölpedal» sein sollte, konnte ich gerade noch erschließen, aber was war «Viehvertrieb»? Nein, nicht Viehtrieb, wie auch ich zunächst glaubte, sondern – ein Pferdefuhrwerk. Die Sprache fiel manchmal aber auch ganz aus, wie bei Aufgabe 2179: «Lösung falsch» stand da über dem Schild für einen unbeschrankten Bahnübergang. Interessant, aber was war bloß die Frage?
Trotz allem habe ich die Theorie bestanden, wie und warum, das weiß ich selber nicht genau. Mit der Praxis hatte ich dann keine Probleme mehr. Ich ging erst mal einen trinken, schlüpfte anschließend in meine braunen Filzpantoffeln, setzte mich hinter das Steuer meines Mitsubishi Pajero, entblößte meinen Oberkörper, zündete mir eine Zigarette an, fuhr los und begann mit meiner niedlichen Dolmetscherin zu quatschen, während ich zwischendurch einmal mehr mit dem Handy telefonierte. Das waren zwar alles streng verbotene Sachen, doch schließlich fährt so jeder alteingesessene Pekinger. Und mal ehrlich: Wie sollen wir hier, verdammt nochmal,
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