Bliefe von dlüben: Der China-Crashkurs (German Edition)
alle männlichen Gäste verteilte. Die Braut musste dann versuchen, jedem Gast eine anzuzünden, was andere Gäste durch kräftiges Spaßpusten zu verhindern suchten. Erst wenn alle Zigaretten brannten, konnte weitergeheiratet werden. Natürlich wird auch das Kind, das aus einer solchen Verbindung hervorgeht, so bald als möglich paffen. Deshalb sind auch alle großen Chinesen der Geschichte Kettenraucher gewesen, die ihre besten Ideen beim Rauchen hatten. Mao (Lieblingsmarke: 555, zu Kriegszeiten wohl auch Camel ohne) erfand dabei den Langen Marsch und die Kulturrevolution. Deng Xiaoping kam bei drei Päckchen Panda pro Tag auf die Idee, alle Maoismen wieder rückgängig zu machen. En passant erfand er das chinesische Wirtschaftswunder. Und Wahlchinese Helmut Schmidt («Deng ist mein ‹Hero›») fand in dem Buch «Nachbar China» bei geschätzten zwanzig Reyno Menthol pro Seite vieles, was Mao und Deng gemacht hatten, sehr gut. Alle drei Topraucher wurden übrigens auch sehr alt: Mao zweiundachtzig, Deng zweiundneunzig, Schmidt ist zur Zeit der Niederschrift dieses Buches neunzig Jahre alt, dank Teer und Nikotin.
Angesichts dieser Tatsachen sind die neuen Hongkonger Anti-Rauchergesetze natürlich reiner Wahnsinn. Wahrscheinlich sterben sie hier demnächst alle aus, allein wegen fehlender Heiratsmöglichkeiten. Das wäre nun bei den Bewohnern von Spaßchina (siehe auch Seite 82) nicht allzu schlimm. Aber um den Rest von China mache ich mir große Sorgen. Weil die Festländer fast jeden Unsinn nachmachen, der in Hongkong vorgemacht wird, wird man sicher auch bei uns demnächst nicht mehr rauchen dürfen. Tatsächlich mehren sich dafür in letzter Zeit die Zeichen. Seit Januar 2009 stehen auf den chinesischen Zigarettenschachteln erstmals Warnhinweise. Zwar sind sie für unsere Ohren noch recht harmlos formuliert, doch brechen sie für die Chinesen radikal mit einem alten Glauben. Behauptet wird hier nämlich: «Rauchen schadet Ihrer Gesundheit. Früh mit dem Rauchen aufzuhören, ist gut für Ihre Gesundheit.» Zudem ist bereits in einigen gehobenen Restaurants das Rauchen verboten, und in Pekings Parks lungern Freiwillige herum, die Raucher ansprechen, um ihnen den Tabakgenuss zu verleiden.
Ab 2011 soll auch auf chinesischen Bildschirmen nicht mehr geraucht werden dürfen. Das wird fatale ästhetische Konsequenzen haben, denn bisher wurde in allen chinesischen Fernsehfilmen geraucht, was die Lunge hergab. Und wenn diese Regelung auch für Dokumentarfilme gelten sollte, dann ist künftig die Hälfte des Materials, das über die revolutionären Gründerväter des Neuen Chinas gedreht wurde, auf dem Bildschirm nicht mehr zeigbar.
Nein, es ist nicht wegzudiskutieren: Kommen auch in Festlandchina Rauchverbotsgesetze, dann geht das Riesenreich unter; erst recht, wenn man bedenkt, dass die staatliche Tabakmonopolgesellschaft im Moment noch neun Prozent aller chinesischen Steuern zahlt und hierfür so schnell keine Bionade-Fabrik in die Bresche springen wird. Deshalb gibt es auch nur eine Möglichkeit, die Volksrepublik China zu retten. Die Zigarette, die seit neuestem krank macht, muss wieder zur Arznei werden. Die Chinesen wären keine Chinesen, wenn sie dieses Unterfangen nicht bereits in Angriff genommen hätten. So sitzt eine Forschergruppe an der Chinesischen Akademie für Ingenieurswissenschaften an der Entwicklung einer «Zigarette chinesischen Stils». Nach Auskunft des beteiligten Forschers Zhu Zunquan ist die Gruppe schon erheblich weitergekommen. Anfang 2009 hatte sie jedenfalls schon fünf Patente angemeldet und den Prototyp einer Niedrigteerzigarette produziert. Die Forscher nennen sie «die verantwortliche Zigarette». Ein mehr als sinnvoller Name. Denn diese Zigarette ist letztlich verantwortlich für das Weiterbestehen der Chinesen, ihres Staates und damit wahrscheinlich auch der ganzen Welt.
Laut China Daily wird in fast 63 Prozent aller in Festlandchina produzierten Fernsehsendungen der Jahre 2004 und 2005 geraucht. Jede Sendung enthielt etwa dreißig Rauchszenen. Das ist mindestens doppelt so viel wie in den Raucherfilmen Aki Kaurismäkis und wahrscheinlich immer noch ein paar Zichten mehr als in frühen «Kommissar»-Folgen. Der deutsche Kriminalfilm ließ ja auch schwer nach, als sich seine Kommissare nicht mehr in jeder zweiten Szene eine anzünden durften.
34 China im All
Als im September 2008 erstmals ein chinesischer Astronaut durchs All spazierte, rief das überall auf der Welt
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