Blind Date mit Folgen - Roman
durchleuchten.
LEBE NEU!© folgte einem Ehrenkodex und nahm tatsächlich nicht wahllos Kunden auf, egal, wie viel Geld jemand bot. Da eine erkaufte Identität jederzeit auffliegen konnte, sicherte sich die Firma ab, und nahm beispielsweise keine Kinderschänder, Kindermörder oder Leute mit SS-Vergangenheit in ihre Kartei auf.
LEBE NEU!© erstellte nicht nur die komplette Palette aller Papiere neu, vom Pass über Führerschein, Geburtsurkunde und -register, Kreditkarten etc., sondern baute dem Kunden ein völlig neues Leben auf, in dem es alle alten Spuren verwischte. Yaron hatte eine neue Vergangenheit, eine sogenannte ›Legende‹ erhalten. Ein Dossier einer perfekt übereinstimmenden Datenbank vom Schulalter bis zur Gegenwart wurde für ihn angelegt. Dass er Israeli war, konnte er weder verheimlichen noch ändern – schließlich sprach er damals außer Hebräisch nur Englisch, und das mit einem starken Akzent, eine deutsche Herkunft hätte man ihm nie abgenommen – und so wurde seine Person zwar neu erfunden, seine Vergangenheit jedoch in Israel verankert.
Der Schlussteil seiner Geschichte bestand aus einer einjährigen, in Deutschland endenden Weltreise, wo er Freunde besuchen und die Sprache erlernen wollte. Es war Yaron selbst gewesen, der Deutschland als seinen Fluchtort gewählt hatte, da er eine Suche nach ihm im Land mit SS-Vergangenheit für unwahrscheinlich hielt, außerdem war die wirtschaftliche Lage recht gut. Der alles ausschlaggebende Grund jedoch für seine Übersiedelung nach Deutschland war sein alter Schulfreund Samuel Bloch gewesen, der vor vielen Jahren von Tel Aviv nach Berlin ausgewandert war, und zu dem er immer noch Kontakt hatte. Eine vertraute Person in seinem neuen Leben zu wissen, machte den Verlust seiner Familie zumindest etwas erträglicher.
Die Vergangenheit zog in dem Moment im Hotel Le Grand an Yaron vorbei, als ob keine zehn Jahre dazwischen lägen. Als Rucksacktourist hatte er am Flughafen Berlin Tegel problemlos den Zoll passiert. Außerhalb Israels wusste ja niemand, dass Yaron Sadit tot war. Samuel Bloch hatte auf ihn gewartet und zuvor noch den von seinem Vater überwiesenen Teilbetrag der 100.000 US-Dollar für die erkaufte Identität von der Bank abgeholt. Dann waren sie in einem Café unweit des Flughafens mit dem Agenten zusammengekommen und nach Übergabe des Restbetrags wurde Yaron mit den entsprechenden Papieren versorgt. Nachdem sie den Transfer abgeschlossen hatten, vernichtete das Unternehmen in England seine Daten und sein altes Leben war ausgelöscht. Yaron Sadit war gestorben, fortan lebte Alexander Sailer.
Der Identitätswechsel blieb jedoch riskant und bot keine hundertprozentige Absicherung, denn falls es hart auf hart kam und die PLO seinen Weg zurückverfolgte, würde der Betrug auffliegen. Der Schwindel war zwar perfekt organisiert, funktionierte jedoch nur, solange niemand etwas ahnte und ihm nicht hinterherschnüffelte.
Simon Kerlinger seinerseits streute die Information über Yarons Tod bei sämtlichen palästinensischen Untergrundorganisationen und besuchte einige Wochen später seine Familie, um ihnen die entscheidende Nachricht zu überbringen: Der Name Sadit war von der Schwarzen Liste gestrichen.
Alex vernahm auf einmal schnelle Schritte und sah erschrocken hoch. Es war lediglich die Empfangsdame, die an ihm vorbeihastete. Vor lauter Tagträumerei hatte er die Zeit völlig vergessen! Er spähte heimlich den Raum nach SECRETS aus, konnte aber niemanden erkennen, auf den ihre Beschreibung traf. Seine Armbanduhr zeigte schon 20.40 Uhr! Wie lange sollte er warten?
Er winkte einen Kellner heran.
»Einen Kaffee, bitte!« Ein Letzter, dann würde er gehen. Waren die Schweizer nebst ihrem Käse nicht bekannt für ihre Pünktlichkeit? Aber er musste ihr eine Zeitspanne lassen, denn wenn sie wieder mit dem Auto kam, konnte sie bei der Stadteinfahrt leicht in einen Stau geraten. Er wollte sich noch etwas gedulden, sie würde bestimmt kommen. Alex streckte seine steifen Beine aus und wechselte die Sitzposition. Seine Gedanken reisten erneut in die Vergangenheit.
Er erinnerte sich ganz genau an die ersten Tage in seiner neuen Heimat. Von seinem LEBE-NEU!©-Agenten hatte er so etwas wie eine schriftliche ›Anleitung zur schnellen Integration‹ erhalten, trotzdem stieß er auf einige Probleme. Der Status Sprachstudent wurde ihm zwar ohne Weiteres abgenommen, aber um einen vernünftigen Nebenjob zu finden, hatte er in kürzester Zeit die
Weitere Kostenlose Bücher