Blind-Date um Mitternacht
denken. Sie konnte es einfach nicht. “Da ich … ihn nicht haben will, sehe ich keinen Grund, warum du dich nicht um ihn bemühen solltest.” Sie ging zu ihrer Schwester und nahm ihre Hände. “Du weißt, dass ich dich liebe, Susan. Aber du hast die lästige Angewohnheit, dir einzureden, ich verdiente von allem immer nur das Beste – selbst wenn es etwas ist, was du dir selber wünschst. Seit dem Tag, an dem Mom und Dad gestorben sind, stellst du meine Bedürfnisse vor deine eigenen. Du hast das Haus verkauft, um mir mit dem Geld das College zu finanzieren, während du selbst dein Studium abgebrochen hast. Du hast mir zum Examen ein Auto geschenkt, obwohl du selber mit dem Bus gefahren bist.”
Susan senkte verlegen den Blick, aber Josie ließ sich nicht beirren. “Du warst die beste aller Schwestern, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich zu schätzen weiß, was du für mich getan hast. Dass du immer für mich da warst, dass du mir nicht nur eine Schwester, sondern auch eine Mutter und eine Freundin warst.” Josie schluckte und drückte Susans Hand. “Doch heute kann ich für mich selber sorgen. Wenn du dich also zu einem Mann hingezogen fühlst, zu …” Wieder schluckte sie und zwang sich, auszusprechen. “Falls du dich für Bob interessierst, dann sag es mir. Du verdienst die beste Chance bei ihm.”
Bevor Susan antworten konnte, ertönte die Ladenglocke über der Tür. und ein Mann brachte ein hübsch eingepacktes Geschenkpaket herein. “Für Miss Susan Jackson.”
Susan trat verwundert vor. “Für mich? Du liebe Güte, von wem kann das bloß sein?”
Josie gab dem Mann ein Trinkgeld und schaute neugierig über Susans Schulter, als sie das Geschenkpapier entfernte.
“Pralinen!” Susan starrte den Karton an und hielt ihn auf Armeslänge von sich ab. “Ich kann mir nicht vorstellen, von wem sie sind.”
Eine böse Vorahnung beschlich Josie, denn sie glaubte zu wissen, wer dieses extravagante Präsent geschickt hatte. Ihre Knie versagten ihr den Dienst, und sie hockte sich auf einen Stuhl. “Lies das beiliegende Kärtchen.”
Wie ein Kind am Weihnachtsabend riss Susan mit zitternden Fingern das Kuvert auf und las die Karte. Als sie sich zu Josie umdrehte, biss sie sich unentschlossen auf die Lippen.
“Nun?”
“Hier steht …” Susan räusperte sich und errötete. “’Hochachtungsvoll, Bob’.”
Wie … prosaisch. Josie hätte gedacht, dass Bob ein wenig mehr zu Stande bringen würde.
Susan schüttelte den Kopf. “Es hat nichts zu bedeuten.”
Sehr sanft entgegnete Josie: “Natürlich hat es das.”
“Nein. Er weiß, wie beunruhigt ich deinetwegen gestern Nacht war, und will mir damit zeigen, dass er es versteht.”
“Ich glaube eher, dass er dir damit zu verstehen geben will, dass er genauso interessiert an dir ist wie du an ihm.”
“Nein! Sei nicht albern. Er ist nur ein rücksichtsvoller, netter Mann. Er denkt immer an die anderen, sogar an diesen zwielichtigen Partner, den er hat. Also, da hast du einen Mann, dem man nicht vertrauen kann! Schon beim ersten Blick auf ihn sah ich, dass er es gewöhnt ist, seinen Willen zu bekommen. Aber Bob ist anders. Er ist korrekt und …”
Während Susan redete und redete und gleichzeitig die silberne Schleife um den Karton mit dem Konfekt entfernte, focht Josie einen harten inneren Kampf mit sich aus. Ihr war eigenartig flau im Magen, und ihre Schläfen pochten. Sie hatte einen kolossalen Narren aus sich gemacht und dabei etwas gefährdet, das für ihre Schwester sehr kostbar war. Ihr größtes Problem war nun, wie sie die Angelegenheit in Ordnung bringen konnte.
Als Susan die Pralinen ins Hinterzimmer brachte, tat Josie das, was sie für unumgänglich hielt: Sie nahm eins der Kärtchen aus der Kasse und schrieb für Bob rasch ein paar Zeilen. Es war einfacher, ihm zu schreiben, als es ihm persönlich mitzuteilen.
Nachdem sie das Kuvert beschriftet hatte, steckte sie es in einen Korb, der mit Dieffenbachia, Efeu und farbenfrohen Tigridias bepflanzt war, und stellte ihn zu einer Reihe anderer Pflanzen, die in Kürze ausgeliefert werden würden.
Es erleichterte nicht wirklich ihr Gewissen, dass sie mit Bob gebrochen hatte, aber zumindest war es jetzt vorbei. Es würde nicht leicht sein, zu vergessen, wie schön es mit ihm gewesen war, aber die Gefühle ihrer Schwester waren wichtiger. Und dass sie in Bob verliebt war, hätte selbst ein Blinder sehen können.
“Ich bin froh, dass du für ein paar Stunden hergekommen
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