Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Hodscha am Telefon erklärt. Doch als Schwarz ihn jetzt um ein Gespräch mit Murat Celik bat, lehnte er entschieden ab.
Schwarz blieb nichts anderes übrig, als mit offenen Karten zu spielen.
»Ich bin Privatdetektiv und kenne den Kommissar, der die Ermittlungen leitet, aus meiner Zeit bei der Polizei. Wir waren uns meistens einig, aber in diesem Fall ist er meiner Meinung nach auf dem Holzweg. Er vermutet hinter der Tat einen Konflikt unter den Hausbewohnern, ich hingegen bin ich mir ziemlich sicher, dass Rechtsextreme die Brandstifter waren.«
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
Der Hodscha zwirbelte nervös seinen Bart. »Murat ist stundenlang verhört worden. Er ist sehr wütend auf die Polizei.«
»Warum?«
»Weil er wie ein Verbrecher behandelt wurde. Dieser Kommissar hat ihm sogar unterstellt, das Feuer selbst gelegt zu haben.«
»Lassen Sie
mich
mit Murat reden. Ich werde beweisen, dass ihm Unrecht getan wurde.«
Der Hodscha überlegte. »Gut, aber nur zehn Minuten.«
Murat Celik saß in der immer noch im Stil der sechziger Jahre eingerichteten Küche des ehemaligen Cafés auf einem Hocker und starrte mit geröteten Augen ins Leere. Den eintretenden Schwarz schien er nicht zu bemerken.
»Was passiert ist, tut mir sehr leid«, sagte Schwarz ein wenig unbeholfen.
Keine Reaktion. Er wartete. Draußen hustete der Hodscha, irgendwo weinte eine Frau.
»Ich bin Privatermittler und soll den Fall Tim Burger neu aufrollen.«
Celiks blickte für einen Moment in seine Richtung.
»Sie wissen, von wem ich spreche?«
Plötzlich begann Celiks Hand so zu zittern, dass er das vor ihm stehende Teeglas umwarf. Schwarz griff zu einer Rolle mit Küchentüchern und reichte sie ihm. Ihre Blicke trafen sich. Schwarz sah, dass Celiks Augen sich mit Tränen gefüllt hatten.
»Wir hätten abhauen sollen«, sagte er in fast akzentfreiem Deutsch. »Sie haben uns ja gewarnt.«
»Wer?«
»Burgers Leute. Sie haben angekündigt, dass sie ihren Kameraden rächen werden.«
»Sie haben bei Ihnen angerufen?«
»Ja, drei Mal in den letzten Wochen.«
»Haben Sie das der Polizei gemeldet?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich dachte, die wollen uns nur Angst machen.«
»Aber jetzt haben Sie es dem Kommissar gesagt?«
»Der glaubt mir nicht. Irgendein Idiot im Haus hat ihm gesteckt, dass ich Ärger mit den Serben hatte. – Wir hätten in die Türkei zurückgehen sollen«, sagte er mit tränenerstickter Stimme.
Schwarz versuchte sich die Situation aus der Sicht des Täters vorzustellen. Die Eingangstür hatte vermutlich offen gestanden, aber es war nicht einfach, mit einem Benzinkanister unbemerkt in den dritten Stock zu gelangen. Das ging eigentlich nur, wenn die meisten Bewohner außer Haus waren.
»Ist Ihnen in letzter Zeit irgendjemand aufgefallen, der das Haus ausgekundschaftet haben könnte?«
»Eigentlich nicht.«
»Aber?«
Celik zögerte. »Meine Schwägerin hat jemanden beobachtet.«
»Kann ich mit ihr sprechen?«
»Nein, unmöglich.« Er machte eine Kopfbewegung in die Richtung, aus der immer noch verzweifeltes Weinen kam.
Der Hodscha schaute herein und deutete auf seine Uhr.
»Nur eine Frage noch«, sagte Schwarz und wandte sich wieder Celik zu. »Hat Ihre Schwägerin Ihnen den Mann beschrieben?«
Er hob die Schultern und nickte. »Ein junger, eher unscheinbarer Typ. Trotzdem hat er ihr Angst gemacht.«
»Wieso?«
»Er war ein Kreuzritter, hat sie gesagt.«
Schwarz starrte ihn an. »Ein Kreuzritter? Er hatte ein Tattoo am Hals?«
Celik nickte.
29.
Die Zeit war gekommen, die Zeit des Feuers und des Bluts.
Ein Mensch brennt. Fleischgeruch liegt in der Luft.
Wie anders das Lied in seinem Kopf jetzt klang. Da war keine Verzweiflung mehr, keine Angst, keine Reue, nur noch Triumph. Er wird das Gefängnis erhobenen Haupts verlassen. Er ist als Opfer gekommen und geht als Held.
Alles hat seine Zeit, dachte er. Seine Zeit war die des Tötens und Zerstörens, die Zeit des Kriegs. Er griff in das Loch in der Matratze und zog die Schnur zum Abbinden und den Löffel hervor. Er hatte ihn stundenlang mit einem Stein zugefeilt. Nun war er scharf wie eine Rasierklinge.
Er legte die Schnur um das unterste Glied seines kleinen Fingers und zog zu, so fest er konnte. Der Finger wurde dunkelrot und schwoll an wie ein Ballon.
Aber er hatte keine Schmerzen, weil er keine haben wollte.
Er legte den Finger auf die Umrahmung des Bettes und griff zum Löffel. Er ritzte die Haut an. Blut
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