Blinde Voegel
erstarrte mitten in der Bewegung.
Das konnte kein Zufall sein. Ira hatte ihr etwas mitteilen wollen – oder, noch wahrscheinlicher, sie wollte eine Frage stellen, die nichts mit dem Inhalt des Songs zu tun hatte, sondern mit dem Namen der Band. Pantera.
War der schwarze Panther ein Symbol? Sie kannte es nicht, aber das musste nichts heißen.
Moment mal. Da war doch noch etwas gewesen … ein anderes Gedicht, nicht Rilke, aber eine der Zeilen war Beatrice nach dem Fund von Iras Körper stundenlang nicht aus dem Kopf gegangen. Und an den Sträuchern hängt ihr Fleisch wie Blüten.
Sie suchte erst in der Gruppe, bevor ihr aufging, wie umständlich das war, und sie die Zeile bei Google eingab.
Volltreffer.
In jene Schlucht, drin Luchs und Panther wüten,
Versanken unsere Helden kampfesbleich,
Und an den Sträuchern hängt ihr Fleisch wie Blüten.
In diese Hölle, unsrer Freunde Reich,
Lass, Grausame, uns reulos niedergleiten,
Dass unser Hass durchglüh’ die Ewigkeiten!
Wieder ein Panther. Das Gedicht hieß Zweikampf und war von Charles Baudelaire, und nun erinnerte sich Beatrice daran, dass Nikola DVD einen eigenartigen Kommentar dazu hinterlassen hatte. Dass die letzten zwei Zeilen ihr Hoffnung gäben oder so ähnlich.
Sie würde den genauen Wortlaut später suchen. «Florin?»
«Einen Moment.» Er stoppte die Aufnahme, die in den letzten Minuten nichts Interessanteres hergegeben hatte als Besteckklappern und ein wenig Smalltalk, der sich hauptsächlich darum drehte, dass das Essen gut war.
«Was sagt dir das Stichwort ‹Panther›?»
Er zog eine ratlose Grimasse. «Das Gleiche wie den meisten anderen Leuten, denke ich. Raubkatze, entweder schwarz oder gefleckt. Eine Fahrradmarke mit dem Namen gibt es auch, soweit ich weiß. Außerdem die ‹grauen Panther›.»
Das war mehr, als Beatrice auf die Schnelle zusammenbekommen hätte. «Wie sieht es mit der Symbolik aus?» Sie schnappte ihr Notebook und setzte sich neben Florin auf die Couch. «Der Panther kommt offenbar in einer Reihe von Gedichten vor – könnte er eine besondere sinnbildliche Bedeutung haben?»
«Da fragst du den Falschen.» Er rückte ein Stück zur Seite, um Beatrice Platz zu machen. «Vermutlich ist Peter Crontaler dafür der bessere Ansprechpartner.»
Kein übler Vorschlag, auch wenn der Gedanke an Fachsimpeleien mit dem Herrn Professor Beatrice nicht gerade begeisterte. Sie versuchte, über Google weitere Erkenntnisse zu gewinnen, gab aber bald auf. Abgesehen von den naheliegenden Attributen – Mut, Geschwindigkeit und Stärke – stand der Panther nur für die Nacht und, sieh an, die weibliche Intuition.
Mit der es heute nicht mehr weit her ist, dachte Beatrice und ertappte sich dabei, wie sie sich beinahe an Florin gelehnt hätte.
Sie schenkte sich einen Schluck Wein nach und schüttelte über sich selbst den Kopf. Wenn sie so müde war, dass sie sich nicht mehr im Griff hatte, war es besser, schlafen zu gehen.
«Das, worauf du in der Gruppe angespielt hast», ertönte Ehrmanns Stimme aus dem Aufnahmegerät. «Ira hätte dir kurz vor ihrem Tod eine Information zukommen lassen. Ich will nicht lange drum herumreden – ich muss wissen, was das war.»
Florin lehnte sich zurück, das Diktafon in der Hand, die personifizierte Konzentration.
«So gut kenne ich dich nicht», hörte sich Beatrice nach einer kurzen Pause selbst antworten. «Ich kann nicht wissen, ob es Ira recht wäre.»
«Gut gekontert», murmelte Florin, oder jedenfalls etwas Ähnliches, ihr eigenes Gähnen hatte seine Worte übertönt.
«Tut mir leid», beeilte sie sich zu sagen.
Wieder drückte er auf Stopp. «Nein, mir tut es leid. Soll ich gehen? Ich kann mir die Aufnahme auch zu Hause anhören.»
«Auf keinen Fall, bleib hier, ich möchte ja wissen, was du davon hältst. Es wäre nur möglich, dass ich irgendwann einnicke, dann weck mich bitte, okay?»
«Ungern.»
«Tu es. Bitte.» Sie griff nach dem Weinglas. Mit jedem Schluck wurde der Beaujolais besser.
«Warum hat sie sich dann nicht gleich dir anvertraut? Warum mir?», erkundigte sich die Beatrice von vor drei Stunden mit deutlicher Skepsis in der Stimme.
Ehrmann wusste es nicht und bedauerte, dass Tina Herbert als Unbeteiligte in eine so hässliche Sache hineingezogen würde.
«Da. Hast du gehört?» Sie richtete sich ein Stück auf. «Wenn es Unbeteiligte gibt, dann gibt es auch Beteiligte. Und woran? An einer hässlichen Sache.»
«Ja.» Wieder stoppte Florin die Aufnahme und drückte auf
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