Blinde Weide, Schlafende Frau
nur eine schwache Vorstellung hatte. Durch die rückhaltlose Vereinigung mit ihr glaubte ich, den Rahmen sprengen zu können, der mich so einengte.«
»Aber daraus wurde nichts?«, fragte ich.
»Nein«, erwiderte er und starrte auf die brennenden Scheite im Kamin. Sein Blick war seltsam leer. »Es wurde nie etwas daraus.«
Er dachte ernstlich daran, sie zu heiraten, und sagte ihr das auch. Wir können sofort nach der Uni heiraten. Kein Problem. Verloben können wir uns schon vorher. Sie sah ihm länger ins Gesicht. Dann lächelte sie. Es war ein wunderschönes Lächeln, anscheinend machten seine Worte sie sehr glücklich. Doch in ihrem Lächeln lag auch der traurige Überdruss einer welterfahrenen älteren Person, die sich die unreifen Schwärmereien einer jüngeren anhört. Zumindest hatte er diesen Eindruck. Es hat keinen Zweck. Wir können nicht heiraten. Ich werde einen älteren Mann heiraten und du eine jüngere Frau. Das ist der Lauf der Welt. Frauen sind früher reif als Männer und altern schneller. Du hast doch noch gar keine Lebenserfahrung. Auch wenn wir gleich nach der Uni heiraten würden, ginge das nicht gut. Wir bleiben nicht so, wie wir jetzt sind. Natürlich liebe ich dich. Ich habe nie einen anderen geliebt. Aber das sind zwei verschiedene Dinge ( das sind zwei verschiedene Dinge , sagte sie gern). Jetzt sind wir noch Schüler und vor allem behütet. Aber die Welt da draußen ist anders. Größer, realistischer. Wir müssen dafür gerüstet sein.
Er verstand, was sie sagen wollte. Verglichen mit gleichaltrigen Jungen dachte er selbst sehr realistisch. Wäre ihm diese Ansicht in einer anderen Situation vorgetragen worden, hätte er ihr gewiss zugestimmt. Aber hier ging es nicht um generelle Dinge, sondern um sein Leben.
»Ich sehe das nicht ein«, sagte er. »Ich liebe dich so sehr und möchte, dass wir eins sind. Das ist mir ganz klar und das Wichtigste überhaupt. Ehrlich gesagt, ist es mir völlig egal, ob das unrealistisch oder sonst was ist. So sehr liebe ich dich.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Es geht nicht«, sagte sie nur und strich ihm über das Haar. »Wir haben doch gar keine Ahnung von der Liebe. Unsere Liebe wurde noch nie auf die Probe gestellt. Wir mussten noch nie für etwas Verantwortung übernehmen. Wir sind noch Kinder, du und ich.«
Darauf konnte er nichts erwidern. Er war nur traurig. Traurig, dass er die Mauer um sich herum nicht einreißen konnte. Bis vor kurzem hatte er sie noch als einen Schutz betrachtet, doch nun stand sie ihm im Weg, behinderte ihn. Ein Gefühl von Ohnmacht bemächtigte sich seiner. Ich kann nichts tun, dachte er. Vielleicht werde ich mein Leben sinnlos hinter dieser dicken Mauer verbringen und alt werden, ohne je die andere Seite zu sehen.
Die beiden führten ihre Beziehung bis zum Ende der Schulzeit fort. Sie warteten in der Bibliothek aufeinander, lernten zusammen, machten voll bekleidet Petting. Ihr schien das Unvollendete an ihrer Beziehung nichts auszumachen. Es sah sogar so aus, als gefiele es ihr, nie ganz zum Ende zu kommen. Alle waren überzeugt, die beiden hätten eine unbeschwerte Jugend. Herr und Fräulein Saubermann. Nur er rang allein weiter mit seinen verworrenen Gefühlen.
Im Frühjahr 1967 begann er mit dem Studium an der Todai, und sie ging auf eine feine Universität für junge Damen aus gutem Haus in Kobe. Selbstverständlich handelte es sich um ein erstklassiges Institut, aber mit ihren Noten wäre sie an weit besseren Hochschulen angenommen worden, hätte sogar einen Studienplatz an der Todai bekommen, wenn sie gewollt hätte. Aber sie machte nicht einmal die Aufnahmeprüfung. Sie hielt das für unnötig. »Ich lerne nicht besonders gern, und ich will auch keinen Posten im Finanzministerium. Ich bin doch ein Mädchen. Bei mir ist das was anderes als bei dir. Du wirst es weit bringen, aber ich möchte die nächsten vier Jahre genießen. Ferien machen, weißt du. Wenn ich erst verheiratet bin, kann ich das nicht mehr.«
Er war enttäuscht. Er hatte gehofft, sie würden zusammen auf die Todai gehen und noch einmal von vorne anfangen. »Komm mit nach Tokyo«, sagte er. Aber sie schüttelte wie üblich den Kopf.
Die Sommerferien seines ersten Studienjahres verbrachte er zu Hause in Kobe, und sie trafen sich fast jeden Tag. (Das war der Sommer, in dem wir uns zufällig in der Fahrschule getroffen hatten.) Sie fuhren mit ihrem Auto überall herum und nahmen auch ihr Petting wieder auf, ganz wie früher. Und doch spürte
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