Blinde Weide, Schlafende Frau
Magenprobleme und seelischen Stress. Dann rieten sie mir noch, früh zu Bett zu gehen und früh aufzustehen, weniger Alkohol zu trinken und mich nicht über Kleinigkeiten aufzuregen, aber das war natürlich alles dummes Zeug. Wenn es eine chronische Gastritis gewesen wäre, hätte ich das gewusst. Wer so was hat und es nicht merkt, ist ein Idiot. Man hat diesen Druck auf dem Magen, Sodbrennen und keinen Appetit. Erbrechen tritt erst nach den anderen Symptomen auf, nicht einfach so, ohne jede Vorwarnung. Außer dem Erbrechen hatte ich keinerlei Symptome. Ich war zwar immer hungrig, aber sonst fühlte ich mich richtig gut, und mein Kopf war klar.
Und Stress habe ich eigentlich auch nie. Natürlich hatte ich eine ganze Menge Arbeit, aber nicht so viel, dass es mich umgehauen hätte. Mit den Frauen lief ebenfalls alles bestens. Dreimal in der Woche ging ich schwimmen … Also habe ich doch alles richtig gemacht, oder?«
»Klingt so.«
»Nur musste ich mich eben übergeben«, sagte er.
Zwei Wochen ging das so weiter – das Erbrechen und die Telefonanrufe. Am fünfzehnten Tag hatte er von beidem die Nase voll und nahm sich frei. Wenn er schon dem Erbrechen nicht entfliehen konnte, dann wenigstens den Telefonanrufen, sagte er sich, und beschloss, in ein Hotel zu ziehen, um die Zeit mit Lesen und Fernsehen zu verbringen. Am Anfang schien auch alles bestens zu laufen. Zu Mittag verspeiste er ein Roastbeef-Sandwich und einen Spargelsalat. Die neue Umgebung schien ihm zu bekommen, denn sein Magen verdaute das Essen ordnungsgemäß. Um halb vier traf er sich im Teesalon mit der Freundin eines Freundes, und er bedachte seinen Magen mit einem Stück Kirschkuchen und schwarzem Kaffee, aber auch das ging gut. Dann schlief er mit der Freundin seines Freundes. Auch dabei lief alles wie am Schnürchen. Nachdem er sie nach Hause geschickt hatte, aß er in einem Restaurant in der Nähe allein zu Abend. Er nahm Tofu, gebratene Makrele nach Kansai-Art, eingelegte Gemüse, Misosuppe und eine Schale Reis. Wie üblich trank er keinen Tropfen Alkohol. Das war um halb sieben.
Anschließend ging er in sein Zimmer zurück, sah sich die Nachrichten an und las den neusten Krimi von Ed MacBain. Als er um neun noch immer nicht den Drang verspürte, sich zu übergeben, atmete er erleichtert auf. Nach zwei Wochen konnte er endlich einmal wieder in Ruhe das Gefühl genießen, satt zu sein. Er hoffte, dass vielleicht bald wieder alles beim Alten wäre. Er klappte sein Buch zu und schaltete den Fernseher ein. Nachdem er eine Weile herumgezappt hatte, entschied er sich für einen alten Western. Der Film ging bis elf, dann schaute er sich noch einmal die Nachrichten an und schaltete anschließend den Fernseher aus. Er hätte sehr gern noch einen Whiskey getrunken und war versucht, noch auf einen Schlummertrunk hinunter in die Bar zu gehen, aber er beherrschte sich, um einen sauberen Tag nicht mit Alkohol zu verunreinigen. Er löschte die Nachttischlampe und kuschelte sich unter die Decke.
Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Er sah auf die Uhr. Es war Viertel nach zwei. Er war so schlaftrunken, dass er zuerst überhaupt nicht wusste, was da warum klingelte. Dann schüttelte er den Kopf, nahm fast unbewusst den Hörer ab und hielt ihn sich ans Ohr.
»Hallo?«, sagte er.
Wie immer sagte die nun schon bekannte Stimme seinen Namen und legte im nächsten Augenblick auf. Nur das Amtszeichen blieb.
»Aber du hattest doch niemandem gesagt, in welchem Hotel du übernachtest, oder?«
»Natürlich nicht. Nur dem Mädchen, mit dem ich schlief.«
»Vielleicht hat sie es jemandem weitererzählt?«
»Aber wozu?«
Da hatte er natürlich Recht.
»Danach erbrach ich im Bad alles, was ich in mir hatte. Den Fisch, den Reis, alles, als wäre durch den Anruf eine Schleuse geöffnet worden. Dann setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und versuchte, die Dinge in meinem Kopf zu ordnen. Zuerst dachte ich, der Anruf sei irgendein raffinierter Streich oder ein schlechter Scherz. Mir war zwar unklar, woher die Leute wussten, in welchem Hotel ich war, aber irgendwas steckte wohl dahinter. Die zweite Möglichkeit war, dass ich halluzinierte. Das kam mir zunächst absurd vor, aber bei nüchterner Betrachtung ließ es sich auch nicht ganz von der Hand weisen. Vielleicht bildete ich mir nur ein, dass das Telefon klingelte und dass jemand meinen Namen sagte. Theoretisch wäre so etwas ja möglich, oder?«
»Ja, schon …«, sagte ich.
»Ich rief die Rezeption an
Weitere Kostenlose Bücher