Blinde Wut
konnte. Der Alte schien in diesem Schäder den großen Unbekannten zu wittern, und da würde man sich auf was gefaßt machen müssen! Schäder hatte die Warnung gelassen mit einem »Bitte!« aufgenommen.
»Sind Sie schon lange mit den Däublers befreundet?« wollte Lutz dann wissen.
»Wie man es nimmt«, meinte Schäder und fuhr nach einer kurzen Pause fort: »Marion kenne ich schon eine Ewigkeit. Bis kurz vor ihrer Verheiratung waren wir… na, sagen wir mal: gut miteinander befreundet. Ich hatte sogar daran gedacht, sie zu heiraten.« Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber sicher das, was der Kommissar hören wollte, und als so etwas wie eine vertrauensbildende Maßnahme vielleicht ganz tauglich.
Die Wahrheit sah viel schäbiger aus und würde nicht gerade ein gutes Licht auf Schäder werfen. Marion war sehr konservativ erzogen und hatte sich, als er sie kennenlernte, noch nicht aus dem Dunstkreis ihrer spießigen Eltern gelöst, deren geistiger Horizont von zwei Fähnchen abgesteckt war, jedes mit einer fein von Hand gestickten Inschrift versehen: Das tut man war auf der einen zu lesen und Das tut man nicht auf der anderen. Ohne das Gerede von Heirat und der dazugehörigen Zukunftsplanung hätte er Marion nie ins Bett gekriegt, und sie wären um eine Erfahrung ärmer gewesen, auf die zumindest Schäder nur ungern verzichten würde. Marion war, wenn sie ihre Hemmungen erst einmal abgelegt hatte, ein raffiniertes, kleines Biest, und sie hatte ihn mit ihren ausgefallenen Wünschen und Angeboten um so mehr überrascht, als er eine derart ausschweifende Phantasie bei ihr nicht vermutet hätte.
»Und dann?« ermunterte Lutz ihn fortzufahren, und riß ihn unsanft aus seinen pikanten Erinnerungen heraus.
»Ich hab’ Marion dann aus den Augen verloren«, meinte Schäder und dachte bei sich, daß das eigentlich eine ganz gute und verkürzende, wenn auch unzulässige Umschreibung für die häßlichen und nervenaufreibenden Szenen war, die sich zwischen ihnen abgespielt hatten, als Marion dahintergekommen war, daß es da auch noch eine Katharina gegeben hatte. »Vor ein paar Monaten«, fuhr er laut fort, »hat sie den Kontakt mit mir plötzlich wieder aufgenommen. In allen Ehren natürlich.«
Wagner fragte sich, was Schäder wohl unter Ehre verstehen mochte. Er hielt ihn für einen Bruder im Geiste seines Kollegen Krüger, und als er an Krüger dachte, fiel ihm auch Gaby ein und was die beiden jetzt vielleicht miteinander trieben, während er in dem muffigen Büro sitzen und sich das Gequatsche eines aufgeblasenen Affen anhören mußte, der sich zu einem Fall äußerte, der eigentlich gar kein Fall war.
»Dann kennen Sie Herrn Däubler noch nicht so lange?« hörte er Lutz fragen und wunderte sich, wie ein erwachsener Mann soviel Energie in ein sinnloses Unterfangen stecken konnte. War das vielleicht ein erstes Anzeichen einer beginnenden senilen Demenz?
Schäder beantwortete die Frage des Kommissars mit einem klaren »Nein!«.
»Wann haben Sie Frau Däubler zum letzten Mal gesehen?«
»An dem Abend, an dem diese schreckliche Geschichte passiert ist.«
»Sie waren an dem Abend bei den Däublers?« brachte Lutz erstaunt hervor.
»Ja.«
»In der Wohnung?« Lutz schien es nicht glauben zu wollen.
»Sag ich doch.«
»Wann haben Sie die Wohnung verlassen?«
»So gegen elf.«
Lutz war plötzlich hellwach. »Was heißt das, so gegen elf? Heißt das kurz vorher oder kurz nachher?«
»Ja«, meinte Schäder gedehnt, »das kann kurz vor elf gewesen sein, aber auch kurz nach elf.«
»Kurz nach elf haben wir als Tatzeit ermittelt«, gab Lutz ihm betont beiläufig zu verstehen.
Schäder war plötzlich auf der Hut. »Warten Sie«, sagte er schnell. Er hatte nicht die geringste Lust, sich durch ein voreiliges oder unbedachtes Wort in Schwierigkeiten zu bringen. Der Kommissar tappte ganz offensichtlich im dunkeln, also war ihm alles zuzutrauen, jede auch noch so abstruse Unterstellung.
»Es war kurz vor elf«, fuhr er dann mit fester Stimme fort. »Ich hatte mir ein Taxi bestellt. Ich mußte ja noch packen, weil ich mit der Frühmaschine nach London fliegen wollte.«
»Sie waren also zur Tatzeit nicht in der Wohnung?«
»Nein.«
»Hm. Dann erzählen Sie mal…« forderte Lutz ihn auf.
»Was soll ich Ihnen erzählen?«
»Mann!« brauste Lutz auf, »Sie sind der letzte, der die Däublers vor der Tat erlebt hat! Was ist an dem Abend vorgefallen? Hat es Streit gegeben?«
»Nein.«
»Nein?« fragte Lutz
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