Blinde Wut
Version! Wagner hatte nicht die geringste Lust, sich zu rechtfertigen, schon allein deshalb nicht, weil er seine geschundenen Lippen schonen wollte. Er schlurfte zu seinem kleinen, engen Büro hinüber, in dem schon längst mal hätte aufgeräumt werden müssen. Als er sich umsah, entdeckte er ein in Geschenkpapier gewickeltes Paket. Er nahm es prüfend in die Hand, es schien eine Flasche zu enthalten.
»Von wem ist denn das?« rief er Frau Bauer durch die offenstehende Tür zu und hielt das Paket in die Höhe. Frau Bauer hörte ihn nicht oder wollte ihn nicht hören, und so machte Wagner sich daran, das Paket zu öffnen, ohne sich der Herkunft vergewissert zu haben. Es enthielt tatsächlich eine Flasche, an deren Hals ein Zettel befestigt war mit der Aufschrift Sorry, Kollege. So etwas konnte sich eigentlich nur Krüger einfallen lassen. Wagner betrachtete die Flasche jetzt genauer. Der Verschluß war unversehrt, und sie enthielt Whisky. Einen Scotch! Den mochte er nicht, der schmeckte ihm zu sehr nach Seife. Ihm war der amerikanische Whiskey lieber. Ein Bourbon, da wußte man doch, was man hatte!
Aus den Augenwinkeln nahm Wagner auf einmal eine Bewegung wahr, und als er sich umdrehte, stand Krüger in seiner Tür. Wagner hielt die Flasche ein wenig hoch. »Von Ihnen?«
Krüger grinste, und das sollte wohl eine Bestätigung sein. »Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps«, warf er lässig hin. »Letzte Nacht, das war Schnaps, und damit unser Dienst sauber bleibt, das da.« Er deutete mit einem Kopfnicken zu der Flasche hin. »Okay?«
»Ist aber nicht meine Marke«, nörgelte Wagner. Krüger drehte sich um und entschwand wortlos. »Trotzdem danke!« rief Wagner ihm nach.
V
Normalerweise würde Lutz sich mit seinem derzeitigen Aussehen nicht unter die Leute wagen, und schon gar nicht in Begleitung von Wagner. Aber es war nach allem, was er bis jetzt in Erfahrung bringen konnte, längst an der Zeit, Däubler ein zweites Mal zu befragen. Er begab sich also, auch auf die Gefahr hin, als Lachnummer zu gelten, zusammen mit Wagner zum Krankenhaus.
»Herrn Däublers Zustand ist unverändert«, versicherte ihnen Doktor Kröll, als er sie über den Korridor zu Däublers Krankenzimmer führte. »Er ist kaum ansprechbar.«
Vor der Tür blieb Kröll dann stehen und wandte sich an Lutz. »Verstehen Sie das nicht falsch, aber es könnte sein, daß er wieder in einen Schockzustand fällt, wenn er Sie sieht.«
Lutz nickte, das schien ihm plausibel zu sein.
»Wenn ich überhaupt einer behutsamen Befragung zustimme«, fuhr Kröll fort, »dann nur durch eine andere Person. Vielleicht könnte Ihr Kollege…?« Er sah zu Wagner hin, und der schien in Sekunden um einige Zentimeter gewachsen zu sein.
Lutz, der zusammengezuckt war, als Kröll seinen Assistenten als Kollegen bezeichnet hatte und ihn schon korrigieren wollte, gab sich auf einmal betont gleichgültig und sagte obenhin: »Ich habe nichts dagegen.«
Doktor Kröll wandte sich Wagner zu. »Keine Vorwürfe«, schärfte er ihm ein, »und keine unmittelbaren Fragen zum Tathergang.«
»Keine Sorge«, erwiderte Wagner klar und deutlich und ohne Rücksicht auf die Schmerzen zu nehmen, die ihm dies verursachte, »ich weiß, wie man so eine Befragung anstellt.« Er hatte das »Ich« betont und streifte Lutz jetzt mit einem verstohlenen Blick. Aber Lutz tat, als habe er die feine Spitze nicht bemerkt.
Doktor Kröll führte Wagner in das Krankenzimmer. Er blieb am Fußende des Bettes stehen, während Wagner sich etwas näher zu Däubler vortraute. Däubler verfolgte das Geschehen mit mißtrauischen, aber merkwürdig stumpfen Blicken.
»Na, Herr Däubler«, wandte sich Wagner mit forciert munterer Stimme dem Kranken zu, »geht es uns heute wieder besser?«
Däubler reagierte nicht auf diese Worte, sondern sah vorwurfsvoll zu Doktor Kröll hin. »Das ist nicht der Herr, mit dem ich schon mal gesprochen habe«, sagte er mit erstaunlich klarer Stimme.
»Nein«, räumte der Arzt ein, während Wagner seinen Versuch, mit Däubler ins Gespräch zu kommen, fortsetzte.
»Wir werden uns bestimmt gut verstehen«, versicherte er ihm.
Däubler wollte Wagner einfach nicht zur Kenntnis nehmen. »Ich will mit dem anderen Herrn sprechen«, insistierte er.
Doktor Kröll, der unter allen Umständen jede Art von Aufregung von seinem Patienten fernhalten wollte, packte Wagner am Ärmel und zog ihn zur Tür. Ohne ein Wort zu verlieren, winkte er Lutz in das Zimmer und gab Wagner
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