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Blinde Wut

Blinde Wut

Titel: Blinde Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scheibler
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zu zögern.
    Im Behandlungszimmer deutete sie auf eine Liege. »Am besten, Sie ziehen Ihre Jacke aus.«
    Wagner nickte. Er konnte jetzt ihr Namensschild erkennen: Schwester Birgitta. Ein schöner Name! In der Stimmung, in der sich gerade befand, hätte er allerdings jeden Namen schön gefunden. Er entledigte sich seiner Jacke und hoffte, daß die Dünste, die ihm entströmten und die er schon gar nicht mehr wahrnahm, weil er an sie gewohnt war, für Schwester Birgitta so angenehm sein würden wie ihre für ihn.
    Er legte sich auf die Liege. Schwester Birgitta trat an ihn heran, beugte sich über sein Gesicht und betrachtete es mit leicht zusammengekniffenen Augen. Wagner wich ihrem Blick aus und hielt den Atem an. Er mußte an den Mitesser an seiner Nase denken, der ihm am Morgen beim Rasieren aufgefallen war, und den er vergessen hatte, auszudrücken. Ihre Nähe war ihm angenehm und peinlich zugleich, und er holte tief Luft, als sie sich jetzt wieder entfernte. Sie verschwand im Hintergrund und er hörte sie Schränke öffnen und in Schubladen kramen. Dann kam sie zurück mit einem Sammelsurium von Dosen und Kompressen, Fläschchen und Wattebäuschen, Tuben und Pflastern und machte sich über sein Gesicht her.
    »Stellen Sie sich nicht so an«, sagte sie belustigt, als er sein Gesicht bei der ersten Berührung vor Schmerz verzog und dabei vielleicht ein wenig übertrieb. »Da müssen Sie jetzt durch!«
    Der erste Schmerz war der schlimmste gewesen, danach war es in feinen Abstufungen immer besser geworden. Jeder Schritt wurde von einem anderen Geruch begleitet, der von den verschiedenen Salben, Tinkturen und Cremes herstammte, die Schwester Birgitta zur Anwendung brachte. Zum Schluß hatte es noch einmal ein wenig gebrannt, dann kribbelte es nur noch, und als Schwester Birgitta ihn aufforderte, wieder aufzustehen, war er ganz ohne Schmerzen und konnte den Mund wieder verziehen, wie er wollte. Nur spitzen konnte er ihn noch nicht, das tat nach wie vor weh.
    »Sie haben ein kleines Wunder vollbracht«, sagte er anerkennend und zog sich seine Jacke wieder an. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    »Lassen Sie mal«, meinte Schwester Birgitta bescheiden. »Ich bin ja froh, wenn es Ihnen geholfen hat.«
    Sie ging zur Tür und forderte ihn mit einem Nicken auf, ihr zu folgen. Das sollte es also gewesen sein? dachte Wagner beklommen. »Was machen Sie eigentlich in Ihrer Freizeit?« hörte er sich sagen und wurde sich sofort bewußt, wie plump diese Frage war.
    Schwester Birgitta lachte hell auf. Diesen Satz hatte sie bestimmt schon hundertmal gehört, und ihre Antwort war immer die gleiche gewesen: »In meiner Freizeit beschäftige ich mich mit Klärchen und Ferdinand und natürlich mit Johannes.«
    Johannes hieß ihr Mann, die beiden Erstgenannten waren ihre Kinder. Das erklärte sie Wagner noch schnell, bevor sie das Zimmer verließen.
    Wagner versuchte, die Enttäuschung, so gut es ging, wegzustecken. Die netten Frauen waren immer schon verheiratet, dachte er und empfand das als eine Ungerechtigkeit.
    Im Korridor war ein Mann an ihnen vorbeigekommen, der sich rasch entfernte. Wagner hatte ihn kaum beachtet. Als der Mann jetzt aber, auffällig um Unauffälligkeit bemüht, zur Treppe abbog, traf Wagner die Erkenntnis: Das mußte Lorenz Kleinhanns gewesen sein!
    »Haben Sie den Mann gesehen, der gerade vorbeigegangen ist?« fragte er Schwester Birgitta schnell.
    »Ja.«
    »Haben Sie ihn vorher schon mal gesehen?«
    Schwester Birgitta dachte kurz nach und nickte dann. »Ich glaube, er war gestern schon mal hier.«
    »Wissen Sie, was er wollte?«
    »Ich denke, er wollte einen Krankenbesuch machen.«
    »Bei wem?«
    Schwester Birgitta schüttelte den Kopf. »Da bin ich überfragt.«
    Wagner dachte kurz nach. Kleinhanns wollte sich sicher im Auftrag seiner Mutter nach dem Befinden von Christian erkundigen. Christian lag aber oben in der Kinderabteilung. Was wollte Kleinhanns dann hier unten? Er wußte doch, daß man ihn nicht zu seinem Schwager vorlassen würde. Wagner zwang sich, diese Gedanken beiseite zu schieben. Er würde sich nicht von Lutzens Aufgeregtheit anstecken lassen!
    »Ich hab übrigens noch was für Sie«, sagte Schwester Birgitta jetzt. Wagner folgte ihr, neugierig geworden, zum Stationszimmer. Dort überreichte sie ihm ein in Papier eingeschlagenes Paket. »Die Sachen von Herrn Däubler sind vorhin aus der Reinigung gekommen. Sie wissen besser als ich, was damit geschehen soll.«
    Das Paket auf

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