Blinde Wut
entschiedene Geste daran.
»Ich weiß es nicht«, stieß Däubler verzweifelt hervor und fuhr, immer leiser werdend, fort: »Helfen Sie mir. Was habe ich getan? Warum weiß ich es nicht mehr?«
Lutz sah ihn voller Mitleid an und beobachtete, wie seine Augen merkwürdig schläfrig wurden und langsam zufielen. Die Spritze hatte zu wirken begonnen.
Die fast gewaltsame Vertreibung aus dem Krankenzimmer hatte für Wagner die gleiche Qualität wie sein Rausschmiß aus dem Atlantis, und war vielleicht noch eine Idee schwerer zu verkraften, weil sie seine Berufsehre tangierte. Dieser Doktor Kröll mit seiner brutal zupackenden Art – Wagner spürte seine Hand noch am Oberarm und war sich sicher, daß dort spätestens morgen blaue Flecken erscheinen würden – hatte vorschnell und unbedacht gehandelt, als er ihn rausschickte. Wagner hätte die Sache wenige Augenblicke später im Griff gehabt, wenn man ihn nur gelassen hätte. Lutz war aus Gründen, die ihm schleierhaft waren, voreingenommen und auf eine fixe Idee festgelegt. Er, Wagner, hätte dem Däubler die richtigen Fragen gestellt, die er samt der Reihenfolge, in der er sie auf ihn abschießen wollte, schon im Kopf hatte, und die ganze leidige Sache hätte noch heute ihren Abschluß finden können. Irgendwie hatte er das Gefühl, daß man ihm einen Erfolg nicht gönnen wollte, und ihm fiel ein, wie mimosenhaft Lutz reagiert hatte, als Kröll ihn durch die Bezeichnung Kollege, sicher unwissentlich, mit Lutz auf eine Stufe gestellt hatte.
Nach ein paar allgemeinen Gedanken über die Ungerechtigkeit dieser Welt war Wagner dann irgendwie auf Gaby gekommen und hatte wertvolle Minuten seines Lebens mit Überlegungen verschwendet, was ihn an dieser Frau so reizte, daß er in Kauf genommen hatte, sich durch unüberlegte Handlungen vor aller Welt zu blamieren. Wagner war sich im klaren, daß der Erfolg intensivster, zeitraubender und Geld verschlingender Bemühungen um sie allenfalls in einer Begegnung bestehen würde, von der er jetzt schon wußte, daß sie stinklangweilig sein würde, egal ob sie im Kino, in einem Restaurant oder im Bett stattfand. Als er sich fragte, warum er diese Energie nicht in eine Frau investierte, für die sich dieser Aufwand auch lohnte, dämmerte ihm, daß die Ursache in seiner Bindungsunfähigkeit liegen mußte: er war nur hinter Frauen her, von denen er sicher war, daß er nie in eine ernsthafte Beziehung zu ihnen treten würde. Vielleicht sollte er mal mit einem Psychologen darüber reden. Aber mit welchem? Der Polizeipsychologe kam wohl nicht in Frage, schließlich mußte ja nicht das ganze Präsidium von seinen Problemen erfahren.
Wagner war noch mit diesen Überlegungen befaßt, als ihm plötzlich bewußt wurde, daß die ganze Zeit über junge und hübsche Frauen an ihm vorbeigekommen waren, die ihn freundlich grüßten und die er automatisch zurückgegrüßt hatte, ohne es wirklich zu bemerken. Augenblicklich tauchte Wagner aus seiner Gedankenwelt auf und sah seine Umgebung mit klaren Augen. Auf dem Korridor herrschte emsiges Treiben. Krankenschwestern schoben Krankenbetten, Essens- oder Medikamentenwagen durch den Korridor, eilten, wichtige Ziele verfolgend, hin und her oder schlenderten langsam vorbei, um einmal kurz Luft zu holen. Und alle grüßten ihn, der sich im Moment mit seiner dicken Lippe wie ein Monster vorkam, und schenkten ihm freundliche Blicke.
Wagner war schon fast wieder mit der Welt versöhnt, als eine ältere Krankenschwester zu ihm kam. Wagner wunderte sich über sich selbst. Er hatte sie als älter eingestuft, obwohl sie um Jahre jünger sein dürfte als er – nur weil sie älter war als die meisten der übrigen. Sie trat nah an ihn heran, so nah, daß er plötzlich eine angenehme Mischung aus Körpergeruch, Deodorant und Parfüm in der Nase hatte, nahm ihn sanft am Kinn und dirigierte seinen Kopf in eine Richtung, die ihr den besten Blick auf seine Verletzungen am Mund gab.
»Das sieht aber bös aus«, meinte sie mitfühlend. »Hat sich das schon jemand angeschaut?«
Wagner kannte sich im Krankenhausjargon zwar nicht aus, begriff aber, daß sie damit fragen wollte, ob die Wunde schon professionell behandelt wurde. Er schüttelte den Kopf.
»Na, dann kommen Sie mal mit!« forderte sie ihn auf und ging auf ein Behandlungszimmer zu.
Wagner war überrascht. Das hatte er noch nie oder zumindest schon lange nicht mehr erlebt, daß sich jemand um ihn kümmerte. Freiwillig und aus eigenem Antrieb! Er folgte ihr, ohne
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