Blinde Wut
nicht mehr zurück?«
»Noch mal drei Punkte.«
»Und was mache ich jetzt mit den Blumen?« fragte Wagner, der ihren Spott nicht bemerkt hatte.
»Sind die für Schwester Birgitta?«
»Ja.«
Die Krankenschwester stand auf, ging zu ihm und streckte die Hand aus. »Geben Sie her!« forderte sie ihn auf. »Ich übergebe ihn morgen der Kollegin. Wie war doch gleich Ihr Name?«
»Wagner«, nuschelte der Angesprochene und sah zu, wie die Schwester den Strauß lieblos, wie er fand, in einen Plastikbehälter stellte. »Moment!« sagte er dann, holte sein Notizbuch hervor, riß fein säuberlich eine leere Seite heraus, auf die er schnell ein paar Worte kritzelte. Dann faltete er das Papier sorgfältig zusammen und steckte es zwischen die Blumen.
»Da gehört aber noch Wasser rein«, ermahnte er die Krankenschwester und deutete zu dem Behälter hin, in dem der Strauß stand. Als er ihren unwilligen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er schnell hinzu: »Oder soll ich…«
»Lassen Sie mal«, gab die Krankenschwester zurück.
»Danke.« Wagner nickte, grinste säuerlich und trat den Rückzug an.
Das alles hatte mehr Zeit gekostet, als er geplant hatte, und als er den Parkplatz wieder erreichte, sah er Lutz schon von weitem in einer Haltung am Auto lehnen, die nichts Gutes versprach. Er würde sich eine plausible Entschuldigung für seine Abwesenheit einfallen lassen müssen.
Der Einfall kam ihm spontan und genau in dem Moment, in dem Lutz ihn erblickte. »Däublers Schwager war heute im Krankenhaus«, rief er ihm zu, bevor Lutz etwas sagen konnte.
Lutz war alarmiert, seinen Ärger hatte er sofort vergessen. »Lorenz Kleinhanns war hier?«
»Ja«, bestätigte Wagner. »Ich wollte nachschauen, ob er vielleicht noch da ist.«
»Woher wissen Sie, daß er hier war?«
»Ich hab ihn doch selbst gesehen.«
»Wann?«
»Vorhin, als Sie bei Herrn Däubler waren.«
»Wo haben Sie ihn gesehen?«
»Auf dem Korridor.«
»Vor Däublers Zimmer?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts.«
»Ja, haben Sie ihn denn nicht gefragt, was er vor Däublers Zimmer zu suchen hat?« brachte Lutz fassungslos hervor.
»Ich hab ihn nur ganz kurz gesehen«, gab Wagner zu.
»Und warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?« fuhr Lutz ihn vorwurfsvoll an.
»Weil ich genau den Lärm vermeiden wollte, den du altes Arschloch jetzt um nichts machst!« hätte Wagner am liebsten geantwortet, aber er schwieg statt dessen und senkte kleinlaut den Blick.
»Und? War er noch da?«
»Nein«, behauptete Wagner und schloß die Beifahrertür auf, um Lutz einsteigen zu lassen.
VI
Wagners Behauptung war die logische Konsequenz seiner Lügengeschichte, aber sie entsprach nicht den Tatsachen. Lorenz Kleinhanns hielt sich nicht nur im Krankenhaus auf, er konnte von einem Fenster im dritten Stockwerk aus auch beobachten, wie die beiden Kriminalbeamten in ihren Dienstwagen stiegen und davonfuhren.
Kleinhanns war etwas fassungslos gewesen, als er entdeckt hatte, wie einfach es war, im Krankenhaus ein- und auszugehen und wie frei man sich bewegen konnte, wenn man erst mal drin war und sich nicht allzu ungeschickt anstellte.
In den letzten Tagen hatte er Stunden damit zugebracht, sich räumlich zu orientieren und Arbeitsabläufe zu beobachten. Er wollte sich von dem Ort inspirieren lassen und seinen Plan nach den Gegebenheiten richten. Sein Plan war, das Leben von Bernhard Däubler auszulöschen. Das mußte noch hier im Krankenhaus geschehen, später würde es schwieriger sein, an ihn ranzukommen. Und es mußte der perfekte Mord sein, denn er hatte nicht die geringste Lust, dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Für Kleinhanns stand fest, daß Däubler Marion ermordet hatte. Er wußte das so genau, weil er sich selbst für den Auftraggeber dieses Mordes hielt. Gleichzeitig war Marion der einzige Mensch gewesen, dem er sich rückhaltlos anvertrauen, zu dem er mit allen seinen Sorgen und geheimen Nöten kommen konnte, und den er auf seine verquere Art mehr liebte als jeden anderen auf dieser Welt. Deshalb mußte der sterben, der ihr, aus welchen Gründen und in wessen Auftrag auch immer, das Leben genommen hatte, und deshalb war Däubler jetzt dran. Noch wußte Kleinhanns nicht, wie er vorgehen sollte, aber er spürte, daß er kurz vor der Lösung dieses Problems stand.
Wenige Tage vor Marions Tod hatte Lorenz eine Platte von Popol Vuh gehört, die ihn innerlich aufgewühlt hatte. Wie immer, wenn ihn etwas besonders bewegte, hatte er auch
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