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Blinde Wut

Blinde Wut

Titel: Blinde Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scheibler
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gehabt hatte.
    Ekel, Abscheu und Verachtung hatten sich prompt wieder eingestellt, Lorenz war aus der Wohnung geflohen, ziellos umhergefahren und erst wieder zur Besinnung gekommen, als er an der Theke eines Bistros in der Innenstadt stand, einen Espresso vor sich und sich wunderte, wie er wohl hierhergekommen sein mochte.
    Langsam dämmerte ihm, daß an diesem Vormittag zweierlei geschehen war, was sein Leben grundsätzlich verändern würde. Einmal hatte er erkannt, daß die homosexuelle Neigung, die er seit der Pubertät konsequent unterdrückt hatte, durchgebrochen war und sich nicht mehr zurückdrängen lassen würde. Denn ihm war klar geworden, daß er Marion und ihrem Liebhaber nicht nur heimlich zugeschaut, sondern gewissermaßen als Stellvertreter ihrem Beischlaf beigewohnt hatte, indem er in die Rolle nicht etwa des Liebhabers, sondern seiner Schwester geschlüpft war. Dabei hatte er, obwohl er sich beschmutzt fühlte, eine Befriedigung erfahren, die, wie er jetzt schon wußte, seinen Wunsch nach Wiederholung anpeitschen würde, bis er erfüllt war.
    Zum zweiten war er sich bewußt geworden, daß seine Schwester, die er auch für die erste schmerzhafte Erkenntnis verantwortlich machte, ihn belogen und betrogen und in einem Maß verraten hatte, das eine Rückkehr zu ihrem alten, vertrauten Verhältnis ein für allemal ausschloß. Er hatte die innere Balance verloren und zugleich Marion, die ihm bis heute geholfen hatte, sie zu erhalten. Plötzlich ekelte er sich vor Marion, verabscheute und verachtete sie. Für ihn war sie gestorben. Und als er das dachte, wünschte er ihr plötzlich den Tod. Bei dem Wunsch wollte er es dann nicht belassen, sondern etwas tun, das ihren Tod zur Folge haben könnte. Er ließ sich das Telefon geben, wählte die Nummer von Bernhard Däublers Dienstapparat und sagte mit nur leicht verstellter Stimme: »Marion treibt es mit einem anderen. Sie wird dich verlassen.«
    Daß Däubler gerade nicht im Zimmer war und ein Kollege von ihm den Anruf entgegengenommen hatte, der mit den Worten, die ihm da entgegentönten, nichts anzufangen wußte und den Hörer kopfschüttelnd wieder auflegte, konnte Lorenz nicht wissen und würde es auch nie erfahren. Für ihn war die Rechnung aufgegangen: sein Schwager, von dem er nie viel gehalten und den er zu keinem Zeitpunkt als ernsthaften Konkurrenten um die Aufmerksamkeit von Marion angesehen hatte, war zum Vollstrecker seiner Rachegedanken geworden und mußte jetzt, der verqueren Logik von Lorenz Kleinhanns zufolge, dafür ebenfalls mit dem Tod büßen.
    Kleinhanns beschloß, seine Nachforschungen für heute zu beenden und das Krankenhaus zu verlassen, um zu Hause in Ruhe über alles nachzudenken. Auf dem Weg nach unten lief er noch einmal durch die Korridore, und als er auf Däublers Etage am Ärztezimmer vorbeikam, vermeinte er, den Namen Däubler zu vernehmen. Er blieb stehen und lauschte den Stimmen zweier Männer, die aus dem Zimmer zu ihm drangen:
    »Sie meinen also, daß die Suizidgefahr fortbesteht?«
    »Unbedingt. Wenn es im Moment auch nicht sehr wahrscheinlich ist, daß er sich etwas antut. Dazu ist Däubler noch zu verwirrt und wohl auch zu schwach.«
    »Man braucht nicht viel Kraft, um eine Pistole abzudrücken.«
    »Zum Glück hat er keine Pistole. Und hier kommt er auch so schnell an keine ran.«
    Die beiden Männer lachten. Kleinhanns grinste still in sich hinein: er wußte jetzt, was er zu tun hatte.
    Am nächsten Morgen erschien Wagner pünktlich im Kommissariat. Er war guter Dinge. Beim Rasieren hatte er festgestellt, daß das Wunder, das Schwester Birgitta an ihm vollbracht hatte, ein beständiges war. Seine Lippen waren fast gar nicht mehr geschwollen, von Schmerzen war keine Spur, und er hoffte inständig, daß sie trotz Klärchen, Ferdinand und Johannes Spaß an seinen Blumen haben würde.
    Wagner hatte sogar schon wieder Lust auf einen heißen Kaffee. Dessen wurde er sich bewußt, als er im Vorzimmer an Frau Bauer vorbeiging, die sich gerade eine Tasse eingoß. Kurz entschlossen stibitzte er die Tasse und floh vor Frau Bauers Protesten in Lutzens Büro.
    »Morgen, Herr Lutz«, sagte er aufgekratzt, stellte die Tasse ab und zog das Abendblatt, das er unter den Arm geklemmt hatte, hervor. Er hielt es Lutz entgegen. »Schon gelesen?«
    »Morgen, Wagner«, brummte Lutz. Er sah auf die Uhr, nickte Wagner wegen seiner Pünktlichkeit anerkennend zu und sah ihn fragend an. »Was steht denn heute drin?«
    »Ex-Gattin: Mein Mann wollte

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