Blinde Wut
bestanden hatte, zuzuschauen und Ratschläge zu geben, die die Langmut des Tüftlers auf eine harte Probe stellten, hatte Wagner bereits wieder erfolgreich verdrängt.
Däubler öffnete die Augen. Als er das Modell sah, richtete er sich auf. Wagner stellte das Modell vor ihn auf die Bettdecke. Lutz beobachtete ihn gespannt. Würde dieser optische Anreiz Däubler die Erinnerung zurückgeben?
»Das stimmt nicht ganz, der Bogen gehört dorthin…«, sagte Däubler hellwach und machte sich an dem Modell zu schaffen.
Lutz war erleichtert. Sein Plan schien aufzugehen. »Erkennen Sie es?« fragte er Däubler.
Däubler nickte. Er hatte den Fehler korrigiert und sah zu Lutz hoch. »Mein Windrotor.« Er schien stolz auf diese Erfindung zu sein. Plötzlich verdüsterten sich seine Züge. »Marion war dagegen«, murmelte er und senkte den Blick wieder.
»Warum?« wollte Lutz wissen.
Däubler dachte einen Augenblick lang nach. »Marion wollte nichts von meinen Plänen wissen«, brachte er dann mit einem bitteren Unterton hervor.
»Welche Pläne?«
»Bergmann…« fuhr Däubler stockend fort. »Marion mochte ihn nicht. Bergmann, der hat sich verwirklicht. Arbeitet in Afrika, als landwirtschaftlicher Berater. Der hat es richtig gemacht. Und der hat mich auch erst darauf gebracht. Ich wollte meine Stellung aufgeben, wissen Sie? Ich konnte es nicht mehr aushalten mit Stöckle.«
Er hielt inne und grübelte wieder vor sich hin. Dann sah er Lutz lauernd an. »Glauben Sie, das hat etwas mit meiner Tat zu tun?«
Lutz zuckte mit den Schultern, Däubler starrte gedankenverloren auf das Modell. »Nein, das kann nicht der Anlaß gewesen sein«, sagte er dann bestimmt. »Marion kannte meine Pläne doch schon länger, und ich wußte, daß sie nichts davon hielt.« Er seufzte verzweifelt auf.
»Es hat keinen Sinn«, meinte Lutz, »wenn Sie sich jetzt abquälen.« Er gab Wagner ein Zeichen, das Modell wieder fortzutragen.
»Darf ich das hierbehalten?« fragte Däubler, der das Zeichen bemerkt hatte, schnell.
»Wie Sie wollen«, erwiderte Lutz und raunte Wagner zu: »Stellen Sie es dort auf den Tisch.«
Während Wagner das Modell von der Bettdecke nahm und zu dem Tisch trug, wandte Lutz sich wieder Däubler zu. »Ich muß Ihnen noch etwas mitteilen«, sagte er bekümmert. »Es existiert ein Haftbefehl gegen Sie.«
Däubler war kein bißchen überrascht und er nickte gleichgültig.
»Und der ist nur so lange außer Vollzug gesetzt«, fuhr Lutz fort, »wie Sie eine Krankenhausbehandlung nötig haben. Das heißt, sobald Sie hier entlassen werden, müssen wir Sie in Untersuchungshaft überstellen.«
»Wann wird das sein?«
»Schon bald.«
Däubler starrte mit dumpfem Blick vor sich hin. Lutz hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm noch etwas Tröstliches zu sagen. »Sie können dann gleich einen Haftprüfungstermin beantragen lassen«, sagte er aufmunternd. »Am besten lassen Sie das Ihren Rechtsanwalt machen.«
»Wozu?« hauchte Däubler stimmlos und schüttelte resigniert den Kopf.
Lutz und Wagner gingen aus dem Zimmer und ließen Däubler allein zurück mit seinen sich im Kreise drehenden Gedanken, seinen lückenhaften Erinnerungen, seinen Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen, seiner Sorge um Christian und seiner Angst vor einer ungewissen Zukunft.
Lutz wollte unbedingt noch einmal mit Doktor Kröll sprechen, aber Wagner dachte bei sich, daß er ja nicht unbedingt dabeisein müßte. Als sie an der Besuchertoilette vorbeikamen, verdrückte Wagner sich, nachdem er wieder einmal den Parkplatz als Treffpunkt vorgeschlagen und Lutz damit beruhigt hatte, daß der Autoschlüssel diesmal in seiner Tasche steckte.
Lutz mußte lange suchen, bis er den Arzt endlich bei einem Patienten fand, der kollabiert hatte.
»Ich will mich kurz fassen, Herr Doktor«, meinte Lutz, der sehen konnte, wie sehr Kröll von der Versorgung des Kranken in Anspruch genommen war. »Es sind nur zwei Punkte. Zum ersten: ich mache mir Sorgen um die Sicherheit von Herrn Däubler. Wie weit ist er hier im Krankenhaus vor Angriffen von außen geschützt?«
»Ist er denn gefährdet?«
»Ich weiß es nicht«, gab Lutz zu. Er fürchtete, sich lächerlich zu machen, wenn er dem Doktor sagen würde, daß er Däublers Schwager, gegen den nicht das Geringste vorlag, nicht über den Weg traute.
»Grundsätzlich ist hier jeder Patient sicher«, beteuerte Doktor Kröll. »Wenn es Sie beruhigt, kann ich aber die Anweisung geben, daß das Personal ein besonderes Auge
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