Blinde Wut
dringenden Notfällen gemacht, die umständlich begründet werden mußten. Wagner konnte sich nicht vorstellen, daß Lutz diese Situation, die er selbst, und vermutlich vorsätzlich, herbeigeführt hatte, als Notfall durchgehen lassen würde. »Ich hab’ noch was vergessen«, murmelte Wagner, als er wieder ausstieg. »Sie müssen nicht auf mich warten.«
Er entfernte sich von dem Taxi und dem fluchenden Fahrer, tat, als ginge er zum Krankenhaus zurück und bog dann, als er sicher war, daß der Taxifahrer ihn nicht mehr sehen konnte, ab und machte sich auf den Weg zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Stinksauer versuchte er sich den Stadtplan ins Gedächtnis zu rufen, um zu ergründen, wie er am besten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause gelangen könnte. Eins war jedenfalls klar: es würde lange dauern.
VII
Sein Vater hatte ihn, kaum daß er volljährig war, mit allerlei psychologischen Tricks, mit Drohungen, Erpressungen und Liebesentzug dazu gezwungen, den Jagdschein zu machen. Lorenz Kleinhanns hatte ihn dafür gehaßt. Heute spürte er so etwas wie postume Dankbarkeit. Der Waffenschein hatte nämlich eine Waffenbesitzkarte zur Folge, die den Inhaber nicht nur zum Erwerb von Jagd-, sondern auch von Handfeuerwaffen berechtigte. Zwar waren beide, Jagdschein wie Waffenbesitzkarte, schon seit Jahren nicht mehr gültig, aber das interessierte den Verkäufer in dem Fachgeschäft für Jagdbedarf zum Glück nicht, das Kleinhanns aufgesucht hatte, um sich schnell und diskret eine Pistole zu beschaffen. Das Problem bestand eher darin, daß der Verkäufer ihm eine großkalibrige Waffe andrehen wollte und ständig etwas von Fangschuß faselte, den er ihm zu allem Überfluß auch noch ausführlich erklären wollte, während er, Kleinhanns, an eine Pistole dachte, die jener glich, die sein Schwager Bernhard Däubler in Besitz gehabt hatte.
Um weiteres Aufsehen zu vermeiden und dem beflissenen Verkäufer zu einem Erfolgserlebnis zu verhelfen, das ihn veranlassen sollte, das Gültigkeitsdatum auf den Papieren nicht doch noch einer genaueren Prüfung zu unterziehen, hatte Kleinhanns kurz entschlossen beide Waffen erworben und gleich bar bezahlt.
In einer kleinen, aber feinen Konfiserie entschied er sich dann, nachdem er sämtliche Angebote eingehend geprüft hatte, für ein Schächtelchen auserlesenen belgischen Konfekts. Die Verkäuferin fand, daß das Ergebnis in keinem Verhältnis zu dem Aufwand stand, den er getrieben und ihr zugemutet hatte, hütete sich aber, irgend etwas verlauten zu lassen, und wickelte die Schachtel auf seinen Wunsch hin sogar noch in Geschenkpapier ein. Der junge Mann kam ihr irgendwie unheimlich vor.
Wenig später saß Kleinhanns dann zu Hause in seinem Zimmer, entfernte vorsichtig erst das Geschenkpapier und dann die Zellophanfolie, öffnete die Schachtel und entnahm ihr das Konfekt, von dem er ein Stück in den Mund nahm und genußvoll auf der Zunge zergehen ließ, während er die anderen sorgsam beiseite legte. Dann holte er die Pistole hervor und legte sie in die Schachtel. Zufrieden stellte er fest, daß die Schachtel keinen Millimeter größer oder kleiner hätte sein dürfen, und er war stolz auf sein Augenmaß. Er schloß sie mit dem Deckel, versah sie mit der Zellophanfolie und wickelte sie wieder in das Geschenkpapier ein. Er schob das kleine Paket in die Brusttasche seines Jacketts, prüfte, ob es auftragen würde und verließ, nachdem das Ergebnis zu seiner Zufriedenheit ausgefallen war, das Zimmer.
Langsam schritt er die Treppe hinab, erreichte die Eingangshalle und sah durch die gläserne Schiebetür seine Mutter im Empfangssalon sitzen. Sie war bereits fertig zum Ausgehen gekleidet. Kleinhanns zog die Schiebetür auf. »Bist du soweit, Mutter?«
»Ja, Lorenz.« Sie stand auf, blieb aber zögernd stehen.
»Was ist denn?« erkundigte sich Kleinhanns besorgt.
»Ach, ich weiß nicht«, meinte sie unschlüssig. »Hast du keine Angst, es schadet Christian, wenn wir ihn besuchen? Er hat doch gar nichts davon.«
»Ach was«, schob Kleinhanns ihre Bedenken beiseite.
»Ich war doch schon ein paarmal bei ihm. Stell dir vor, er wacht auf und sieht dich. Was meinst du, wie er sich freuen wird.«
Diese Aussicht schien Frau Kleinhanns froh zu stimmen. Sie lächelte, nahm den Arm ihres Sohnes und ließ sich von ihm aus dem Haus führen.
Lutz hatte sich fast schon zu der Entscheidung durchgerungen, den Fall Däubler auf Eis zu legen. Abschließen konnte er
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