Blinde Wut
ihn noch nicht, denn man war keinen Schritt weiter gekommen, und Däubler konnte sich nach wie vor nicht erinnern, warum er das schreckliche Blutbad angerichtet hatte. Die Doktoren Kröll und Winkler neigten zu der Ansicht, daß sich an diesem Zustand auch nichts mehr ändern würde. Dann mußten sich Richter, Staatsanwalt und Verteidiger eben irgendwie einigen und sehen, wie sie zu einem halbwegs gerechten Urteil fänden.
Lutz und Wagner hatten gerade einen dieser Besuche bei Däubler absolviert, die so frustrierend waren, weil sich alles im Kreis drehte und wiederholte und man Däubler nicht helfen konnte, weil man nicht wußte, wie, und Däubler sich ohnehin nicht helfen lassen wollte. Das einzige, was Fortschritte machte, war die Genesung von Däublers äußerlichen Verletzungen. Seine Kopfverbände waren immer kleiner geworden, bald würde ein Pflaster ausreichen und dann wäre es auch schon an der Zeit, Däubler in Untersuchungshaft zu überstellen.
Lutz wollte noch mit Doktor Kröll reden und stellte Wagner anheim, auf dem Parkplatz auf ihn zu warten, falls ihm das Zuhören zu langweilig wäre. Aber Wagner lehnte strikt ab. Er würde nicht von Lutzens Seite weichen! Drei Stunden hatte er neulich in Bussen und Straßenbahnen verbracht, sich zweimal verfahren und sich dann auch noch von einem Kontrolleur erklären lassen müssen, daß man mit einem Kurzstreckenfahrschein nicht umsteigen dürfe. Diese Erklärung hatte ihn sechzig Mark gekostet – zusätzlich zu den drei Mark neunzig für den richtigen Fahrschein.
Als er das Geld von Lutz, dem er die Schuld an seiner Misere gab, zurückforderte, war er auf Granit gestoßen. Lutz hatte behauptet, er habe gesehen, wie Wagner in Begleitung einer jungen, bildhübschen Krankenschwester das Krankenhaus verlassen habe, zu ihr in den Wagen gestiegen und davongefahren sei. Erst danach habe er sich, zugegebenermaßen ziemlich wütend, auf den Heimweg gemacht. Wagner warf ihm vor, daß die Sonnenbrille seinen Blick getrübt haben mußte, aber da war er sich schon im klaren gewesen, daß er verloren hatte: hier stand Aussage gegen Aussage, Zeugen gab es keine, das Geld konnte er in den Wind schreiben.
Lutz, dessen Blick nicht mehr getrübt werden konnte, zumindest nicht von der Sonnenbrille, weil sein blau geschlagenes Auge inzwischen verheilt war, traf mit Doktor Kröll im Korridor des Krankenhauses zusammen, und Wagner war bei ihm.
»Christian scheint über den Berg zu sein«, berichtete Kröll. »Er ist immer häufiger bei Bewußtsein, und diese Phasen werden immer länger. Eine Kinderpsychologin kümmert sich um ihn. An alles, was mit der Tat zu tun hat, kann er sich absolut nicht erinnern. Er fragt aber manchmal nach seiner Mutter. Und auch nach seinem Vater.«
Krölls Piepser meldete sich, und der Doktor breitete entschuldigend die Arme aus.
»Halten Sie mich weiter auf dem laufenden«, bat Lutz. Kröll nickte und eilte davon.
Lutz und Wagner gingen zum Treppenhaus und stiegen die Treppe hinab.
Kaum waren sie verschwunden, hielt der von oben kommende Fahrstuhl. Frau Kleinhanns und ihr Sohn stiegen aus.
»Na, hat sich Christian nun über deinen Besuch gefreut, oder nicht?« fragte Kleinhanns seine Mutter, die ein glückliches Lächeln aufgesetzt hatte und nickte. »Wir sollten auch mal bei Bernhard reinschauen«, regte Kleinhanns an und fuhr fort, als er den erschrockenen Blick seiner Mutter wahrnahm: »Du mußt ja nicht mitkommen.«
Frau Kleinhanns straffte sich. »Doch. Wenn du gehst, gehe ich auch. Ich glaube nur nicht, daß man uns zu ihm läßt.«
Kleinhanns sah sich um, entdeckte eine Krankenschwester und ging zu ihr. »Sagen Sie, wo liegt Herr Däubler? Bernhard Däubler.«
Es war Schwester Birgitta, die er da angesprochen hatte. Sie erinnerte sich daran, ihn schon einmal gesehen zu haben, brachte das irgendwie mit dem jüngeren Kriminalbeamten in Zusammenhang, der zwar ein wenig lästig, aber immerhin sympathisch war, und reagierte aufgeschlossen: »Auf Zimmer 17«, gab sie Bescheid. »Aber es darf niemand zu ihm.«
»Könnten Sie nicht eine Ausnahme machen?« bat Kleinhanns sie. Er deutete zu seiner Mutter hin, die in einiger Entfernung stehengeblieben war. »Seine Mutter.«
Es war deutlich zu sehen, wie Schwester Birgitta mit sich rang.
»Sie müssen ja nichts gesehen haben«, sagte Kleinhanns eindringlich.
Schwester Birgitta seufzte auf. Die alte, gramgebeugte Mutter tat ihr leid, schließlich war sie selbst zweifache Mutter. »Aber nur für
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