Blinde Zeugen: Thriller
Punkt sieben Uhr dreißig saß er im Büro des Polizeipräsidenten und holte sich seine Belobigung ab.
»Ausgezeichnete Arbeit.« Chief Constable Brian Anderson alias Brian der Haarlose stand mit dem Rücken zum Raum an einem Panoramafenster und ließ den Blick wohlgefällig auf seinem Reich ruhen. Granitfassaden und Schieferdächer funkelten im Schein der Morgensonne, während die drittgrößte Stadt Schottlands einem neuen Tag entgegensah. »Ist das nicht ausgezeichnet, Finnie?«
Der DCI reichte Logan eine Ausgabe des Aberdeen Examiner von diesem Morgen: »POLIZEI FASST ÖDIPUS – POLNISCHE MITBÜRGER KÖNNEN SICH ENDLICH WIEDER SICHER FÜHLEN.«
Finnie rümpfte die Nase. »Dieses ›endlich‹ wäre ja nicht unbedingt nötig gewesen, aber es ist trotzdem ein gewaltiger Fortschritt, wenn man bedenkt, wie die vorher mit uns umgesprungen sind.«
Der Polizeipräsident wippte auf den Fußballen. »In der Tat. Und es ist nicht nur die Lokalpresse, die die Story aufgegriffen hat. Wir haben es auf die Titelseiten von Scotsman , Times , Observer und einer ganzen Reihe von Boulevardblättern geschafft. Der Guardian hat meinen Namen falsch geschrieben, aber sei’s drum … Nichts geht über gute Publicity.« Er drehte sich zu ihnen um und schenkte Logan ein Lächeln. »Und wie ich höre, haben Sie ihn ohne richterlichen Beschluss und ganz ohne Verstärkung gefasst?«
»Ja …« Er war sich nicht sicher, ob das eine Falle war oder nicht. »Wir waren einer Klage wegen Belästigung aus den Reihen der polnischen Gemeinde nachgegangen. Gilchrists Mutter ließ uns in die Wohnung, und Beweismaterial, das in seinem Schlafzimmer gefunden wurde, ließ mich vermuten, dass er in die jüngste Serie von Ödipus-Blendungen verwickelt sein könnte … Sir.«
»Hmm.« Der Polizeipräsident neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Logan eine Weile. »Ich schlage vor, dass Sie noch ein bisschen daran arbeiten, bevor der Fall vor Gericht kommt.«
Logan errötete. »Ich … Ja, Sir.«
»Nun denn – aber er hat inzwischen alles gestanden, sagen Sie?«
Finnie hielt eine braune Aktenmappe hoch. »Wir werden das alles noch heute Morgen mit der Staatsanwältin besprechen. Unser forensischer Psychologe kommt um halb drei, um den Fall aufzuarbeiten. Gilchrist kommt da nicht mehr raus.«
»Gut. Sehr gut.« Der Polizeipräsident wandte sich wieder dem Stadtpanorama zu. »Lassen Sie sich bitte nicht aufhalten, meine Herren.«
DI Steel legte die Füße auf ihren Schreibtisch, streckte die Zunge heraus und prustete abfällig. »Wenn du gekommen bist, weil du den Hintern geküsst kriegen willst, Mr. Superknabe, dann kannst du lange warten.« Sie griff nach einem leeren Plastikbecher, hielt ihn hoch und wackelte damit. »Es sei denn, du möchtest gerne eine Spende abgeben? In dem Fall …« Sie spitzte die Lippen und machte Kussgeräusche.
Logan ignorierte sie.
Sie stellte den Becher auf den Schreibtisch zurück. »Außerdem dachte ich, du spielst heute Morgen mit deinem neuen Freund Finnie.«
»Nee. Ich habe Gilchrist gestern vernommen, heute Morgen übernimmt ihn Finnie, und heute Nachmittag, wenn Goulding dazukommt, nehmen wir ihn uns mit vereinten Kräften vor. Er soll gar nicht erst zu sich kommen.«
Logan ließ sich auf einen Besucherstuhl sinken. »Ich habe gestern etwas gefunden, das könnte dich interessieren.« Er warf eine frisch gebrannte DVD auf Steels Schreibtisch. »Ich habe im Labor eine Kopie für dich machen lassen.«
»Ach ja?« Steel beäugte die silbrige Scheibe argwöhnisch und ließ sie dann aus der transparenten Plastikhülle gleiten. »Das bist aber nicht zufällig du mit deiner Tattoo-Tussi beim Rammeln in der Besenkammer, oder? Ich hab nämlich eben erst gefrühstückt.«
»Erstens: Nein. Und zweitens: Schnauze.«
»Treib’s nicht zu weit.« Steel schob die DVD in ihren Computer und klickte eine Weile mit der Maus herum. »Wie krieg ich das Ding in Gang?«
»Rück mal rüber.« Logan startete die DVD, und dann saßen sie da und schauten sich gemeinsam die Eingangssequenz an. Viel passierte da nicht: Eine Frau, an Händen und Füßen gefesselt und mit einem Kissenbezug über dem Kopf, wurde auf ein hellbraunes Ledersofa geworfen. Das war auch schon das ganze Vorspiel.
Die Szene war in einem Wohnzimmer aufgenommen: cremefarbener Teppich, rote Wände, Couchtisch aus Glas und Chrom, ein gerahmter Druck mit einer Darstellung der Union Street von der Hand eines nicht allzu begnadeten Künstlers.
Steel runzelte
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