Blinde Zeugen: Thriller
Glas fiel herunter und zerbrach –, aber Logan ließ sich nicht aufhalten.
Die Pistole schwenkte wieder herum. Der Alte war schnell … aber Logan war schon zu nahe.
Er duckte sich unter Gorzkiewicz’ Arm hindurch, packte die Wodkaflasche auf dem Tisch und schwang sie wie einen Tennisschläger, mit dem Kopf des Mannes als Ball.
Und er hätte ihn auch getroffen, wäre er nicht mit dem Fuß auf einem der verstreuten Bücher gelandet und mitten im Schlag weggerutscht. Die Flasche verfehlte ihr Ziel und erwischte nur Gorzkiewicz’ Sonnenbrille, während Logan in einen weiteren Haufen Krempel krachte und auf dem Rücken liegenblieb. Etwas Spitzes bohrte sich in sein Rückgrat.
» Kurwa! «, fluchte der alte Mann, und Logan starrte wieder in die Mündung der Pistole. Gorzkiewicz hing schräg in seinem Sessel und klammerte sich an der Lehne fest. Er zitterte, und unter der verrutschten Sonnenbrille kam ein Gewirr von Narbengewebe zum Vorschein, dort, wo einmal das Auge gesessen hatte. »Du hast einen großen Fehler gemacht, pi z´ dzielec ! Ich puste dir deinen verdammten Schädel –« Er brach mitten im Satz ab.
Polizeihauptmeisterin Wiktorja Jaroszewicz hatte ihm eine klobige halbautomatische Pistole aus sowjetischer Produktion in die Wange gerammt – so fest, dass seine Züge zu einem schiefen Grinsen verzerrt wurden. »Nein«, sagte sie und bohrte den Lauf noch tiefer ins Fleisch, »du wirst jetzt die Waffe fallen lassen und beten, dass ich die Wände von deiner miesen kleinen Bruchbude nicht mit deinem Hirn tapeziere!«
Die Küche war ein weiteres Stück eingefrorene Vergangenheit – altmodische Schränke, gestrichen in einem widerlichen Avocado-Ton, schimmerten aus dem Halbdunkel hervor; der gelbe Linoleumboden war fast bis auf die Dielen durchgetreten; eine rechteckige Mahagoni-Uhr stand auf zwanzig vor zwei; die Küchengeräte sahen aus, als stammten sie aus der frühen Eisenzeit. An dem winzigen Tisch war gerade eben Platz für drei. Auch hier verbreiteten Lichterketten ihren schwächlichen Schein, und bis auf das gurgelnde Brummen eines uralten Kühlschranks war alles totenstill.
Gorzkiewicz öffnete eine Flasche Wodka und schenkte drei Doppelte ein, ohne einen Tropfen zu verschütten, indem er einen Finger an den Rand des Glases hielt.
Er hob sein Glas. »Mögen wir lange genug leben, um unsere Feinde zu begraben.«
Logan und Wiktorja stimmten in den Trinkspruch ein. Sie kippte ihren Wodka in einem Zug hinunter, Logan probierte zuerst ganz vorsichtig und kam zu dem Schluss, dass es besser wäre, das Zeug auf dem Weg nach unten nicht zu schmecken. Er hustete und keuchte, als der scharfe, bittere Schnaps durch seine Kehle rann.
Sie klopfte ihm auf den Rücken. Dann fragte sie Gorzkiewicz, warum alle Fenster vernagelt seien. »Ich meine«, fuhr sie fort, während sie die Gläser wieder auffüllte, »ich weiß ja, dass Sie blind sind, aber haben Sie es nicht gern, wenn Ihnen die Sonne ins Gesicht scheint?«
»Auch der beste Scharfschütze muss sein Ziel sehen, um es zu treffen.« Der alte Mann kippte seinen Wodka, dann nahm er seine Sonnenbrille ab. Beide Augenhöhlen waren leer und von tiefen Narben durchzogen. »In meinem Job ist es nicht gut, wenn die Leute einen sehen können, während man sie selbst nicht sehen kann.«
»Aha …« Logan blickte sich in der engen Küche um. »In Ihrem Job, das heißt …?« Was immer es war, es konnte nicht sehr lukrativ sein.
Gorzkiewicz lächelte und ließ dabei Zähne sehen, die zu perfekt waren, um echt zu sein. Ein Gebiss. »Man nennt mich Zegarmistrz – den Uhrmacher.«
Logan drehte sich zu den vernagelten Fenstern um. »Und wieso muss ein Uhrmacher sich vor Scharfschützen fürchten?«
»Es ist ein hart umkämpfter Markt.«
Logan starrte ihn an. Diese ausgebrannten Höhlen waren das Verstörendste, was er seit langem zu Gesicht bekommen hatte … und das wollte etwas heißen. Je länger er sie anschaute, desto mehr war er überzeugt, dass sie zurückstarrten. Er unterdrückte ein Schaudern. »Wer ist Ehrlichmann? Macht er auch Uhren?«
»Ehrlichmann ist ein deutscher … Geschäftsmann. Er ist nicht wichtig.« Gorzkiewicz hob den Kopf zu der stehengebliebenen Uhr. »Wie spät ist es?«
Logan sah auf seine Armbanduhr. »Neunzehn Uhr dreiundvierzig.«
Stirnrunzeln. »Zytka müsste längst hier sein.«
»Wir möchten mit Ihnen über den Mann sprechen, der …« Logan suchte nach einer taktvollen Formulierung, fand aber keine. »Der Sie
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