Blinde Zeugen: Thriller
Süßer, du siehst einsam aus.«
»Heute nicht, Carol.«
Sie kniff die Augen zusammen, dann kramte sie eine zerkratzte Brille aus ihrer Handtasche hervor. »Oh, Scheiße …« Sie hob die Stimme. »Es sind die Bullen!« Die beiden Alten schien das nicht zu jucken, also wedelte sie mit ihrer Zigarette in Logans Richtung, wobei eine Aschelawine auf die Theke niederging. »Was ist, willste mich jetzt verhaften, weil ich eine rauche? Hä? Wohl nix Besseres zu tun?«
Er zuckte mit den Achseln. »Carol, du kannst dir hier meinetwegen auch ’nen Schuss setzen, das geht mir voll am Arsch vorbei. Tu dir keinen Zwang an.«
Ein bierbäuchiger Barmann lugte durch die Tür hinter der Theke. »Was ist denn hier …« Er sah Logan an, trat von einem Fuß auf den anderen und wandte sich dann zu der alternden Prostituierten. »Du darfst hier drin nicht rauchen, das ist gegen das Gesetz.«
Sie erdolchte Logan mit Blicken, ließ die Zigarette in ihr leeres Glas fallen und schwenkte es, bis die Kippe in den halb geschmolzenen Eiswürfeln zischend ihr Leben aushauchte. »Zufrieden jetzt? Scheißfaschos.«
Logan deutete auf die Zapfhähne. »Ein Pint Stella und einen doppelten Grouse.«
Der Barmann starrte ihn einen Moment lang an. »Ja, Sir.« Er zapfte das Lager und füllte dann zwei Messbecher Famous Grouse in ein Whiskyglas. Nach kurzem Zögern gab er noch einen dritten dazu. Er stellte die beiden Gläser vor Logan hin und sagte. »Geht aufs Haus.«
Logan streckte die Hand aus und berührte das Pintglas. Spürte die Kälte an seinen Fingerspitzen, sah Perlen von Kondenswasser herabrinnen und in einen welligen Bierdeckel einsickern. Gott, war er durstig … Als er das letzte Mal in diesem Pub gewesen war, hatte jemand gedroht, ihn mit einem Billardqueue zu köpfen, kaum dass er als Polizist erkannt worden war. Und jetzt bekam er hier Drinks spendiert.
»Ich weiß das Angebot zu schätzen«, sagte er, während er seinen Geldbeutel zückte und zwei Fünfpfundscheine auf den Tresen legte. »Aber ich bezahle lieber.« Logan griff nach dem Whiskyglas. Es war noch nicht elf, er war den ersten Tag zurück im Dienst, und er war im Begriff, sich die Kante zu geben.
Das Glas zitterte, als er es an die Lippen hob.
Ein Polizist, der morgens schon Whisky trank. Bravo, nur weiter so. So wurde man zum wandelnden Stereotyp. Detective Sergeant Klischee.
Das Zittern wurde schlimmer. Er hielt das Glas mit der anderen Hand fest.
Schloss die Augen.
Versuchte, nicht an Feuer, berstenden Beton und abplatzende Farbe zu denken.
Logan knallte das Glas auf die Theke und sprintete zur Toilette, stieß die Tür auf und tauchte in den beißenden Gestank von abgestandenem Urin ein. Er packte das Waschbecken mit beiden Händen und übergab sich, spritzte das mit Brandflecken übersäte Porzellan voll, bis nichts mehr in seinem Magen war. Dann stand er da und zitterte am ganzen Leib.
Er spuckte, drehte das kalte Wasser auf und spülte sich den Mund aus. Ließ es laufen, bis auch das letzte Bröckchen im Abfluss verschwunden war.
Er zog sein Handy aus der Tasche, fand im Speicher die Nummer, die er brauchte, und rief an.
Gouldings verhuschte Assistentin führte Logan in die Höhle des Psychologen, ließ ihn wissen, dass der Doktor gleich da sein würde, und fragte ihn, ob er eine Tasse Tee wolle.
Milch und drei Stück Zucker.
Der Tee, den sie ihm brachte, war so süß, dass es ihn schüttelte, aber wenigstens half er gegen den bitteren Geschmack in seinem Mund. Und außerdem hieß es doch immer, das sei das Beste bei einem Schock: eine Tasse heißer, süßer Tee. Ja, der gute alte britische Geist aus den Tagen des Blitzkriegs. Blödsinn.
Er sah sich im Büro um.
Das war eine bescheuerte Idee. Nur die letzte in einer langen Liste von bescheuerten Ideen.
Er sollte gar nicht hier sein.
Logan stellte seine leere Tasse auf dem Couchtisch aus Glas und Chrom ab und stand auf. Zum Teufel damit. Er brauchte keine Hilfe. Er würde –
Die Tür ging auf, und Dr. Goulding sprang dynamisch herein. Ein Liverpooler Tigger mit hässlicher Krawatte. »Sergeant McRae – Logan, super, dass Sie kommen konnten. Ich arbeite gerade an dem neuen Profil, da könnte ich Ihre Hilfe gut gebrauchen.« Er streckte die Hand aus. »Wie geht’s Ihnen denn so?«
Logan hustete. »Ich … ich kann nicht lange bleiben – enger Dienstplan, Sie wissen schon. Wollte nur mal sehen … wie Sie so vorankommen.«
»Okay, alles klar; setzen Sie sich doch.« Der Psychologe trat an
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