Blinde Zeugen: Thriller
Arbeit.
Eine halbe Stunde später fiel ihm ein wattierter Umschlag in die Hände, der an DETECTIVE SERGEANT LOGAN MCRAE, GRAMPIAN POLICE, POLIZEIPRÄSIDIUM, QUEEN’S STREET, ABERDEEN, SCHOTTLAND adressiert war, in sorgfältig gemalten Großbuchstaben, wie von einem Kind geschrieben.
Er kämpfte sich durch die Zwangsjacke aus Tesafilm und schüttete den Inhalt auf seinem Schreibtisch aus. Es waren Kopien von Schriftstücken in polnischer und russischer Sprache. Rafal Gorzkiewicz’ Dossier über den Mann, der ihn geblendet hatte: Wadim Michailowitsch Krawtschenko.
Es war sogar eine Kopie des Armee-Fotos dabei, das sie in der Wohnung gesehen hatten. Rory hatte ihn mit seinem Phantombild genau getroffen. Krawtschenko hatte sich nicht sehr verändert. Natürlich war er älter und hatte ein paar Falten dazubekommen, aber abgesehen davon sah er noch haargenau so aus wie auf dem Bild, bis hin zu der Narbe am Kinn.
»Na, lebst du noch?«
»Hmmm?« Logan drehte seinen Stuhl herum.
DS Pirie stand in der offenen Tür und fuhr sich mit der Hand durch die roten Locken. »Du hast nicht zufällig Rennie gesehen?«
Logan griff nach einem Stoß Einbruchsanzeigen, die oben auf dem Stapel lagen, und deckte die Krawtschenko-Akte damit zu. »Nein. Also, jedenfalls seit heute Morgen nicht mehr. Ich glaube, er ist wieder unterwegs, um für DI Steel irgendwelche Wachleute zu befragen. Oder so was in der Art.«
»Ah … Das wird Finnie aber nicht gefallen. Er ist sowieso schon angefressen, weil du ihr Vollzeit zugewiesen worden bist. Er sagt, das fördert nur die grassierende Krankmeldungskultur – es täte uns allen besser, wenn wir öfter ins kalte Wasser geworfen und nicht dauernd verhätschelt würden.«
»Wie nett.«
»Wenn das hier der Erste Weltkrieg wäre, würde er dich wahrscheinlich abführen und erschießen lassen.« Pirie lehnte sich an den Türpfosten. »Aber Spaß beiseite: Geht’s dir wirklich gut?«
»Wieso stellen mir alle ständig diese Frage?«
»Na ja, vielleicht, weil du aussiehst wie ein Haufen Scheiße mit ’nem Kater.«
Logan spannte sich an. »Ich bin erkältet!«
Der DS schnaubte spöttisch. »Ja, klar – viel Erfolg mit der Geschichte. Würde aber vielleicht besser funktionieren, wenn du eine Packung Mentholbonbons frisst, um deine Schnapsfahne zu überdecken.« Er richtete sich gerade auf. »Wir wissen alle, dass Beattie früher oder später einen Bock schießen wird. Und wenn es so weit ist, dann werden sie das Bartgesicht wieder zum Sergeant degradieren, und dann ist der DI-Posten wieder frei. Zwanzig Pfund, dass ich ihn kriege.«
»Ich setze dreißig dagegen.«
Pirie nickte. »Wird mir ein Vergnügen sein, dein Geld zu kassieren, McRae.« Und dann marschierte er davon und zog im Gehen sein Handy aus der Tasche, um irgendjemanden am anderen Ende anzubrüllen.
Logan horchte, bis Piries Stimme auf dem Flur verhallte.
Stille.
Er grub die Krawtschenko-Akte wieder aus. Für ihn war das alles immer noch Kauderwelsch, aber ganz unten lag ein Blatt blasslila Notizpapier, bedeckt mit der gleichen kindlichen Handschrift wie die Adresse auf dem Umschlag.
»SEHR GEEHRTER MR. SERGEANT,
ONKEL RAFAL TUT LEID, DASS SIE SIND EXPOLDIERT EXPLODIERT. ER SAGT WAR UNFALL, SOLLTE ZU SEIN FÜR BÖSE MÄNNERS MIT PISTOLEN WAS WOLLTEN ZU TÖTEN ONKEL RAFAL. ER FREUDIG DAS SIE NOCH LEBENDIG. ICH AUCH FREUDIG DAS SIE NOCH LEBENDIG. DAS IST KOPIE VON AKTE VON KURWA MAC KRAWTSCHENKO. WENN SIE IHM ZU FINDEN, BITTE ZU TÖTEN IHM UND ZU SCHICKEN MIR FOTO. DANKE.
GRUSS, ZYTKA X
P.S. ONKEL RAFAL SAGT GIBT SCHIFF WAS FAHREN ZU WO SIE WOHNEN, MIT VIELE WAFFEN FÜR KRAWTSCHENKO. ES HEISSEN SICH ›BUCKIE BALLAD‹ UND ES FAHREN ABERDEEN 15. JULI.
P.P.S. BITTE ZU DENKEN AN FOTO.«
Logan lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und pfiff durch die Zähne. Eine Schiffsladung Waffen auf dem Weg nach Aberdeen … Vermutlich Ersatz für die, die sie in diesem Wohnwagen in Stoneywood gefunden hatten. Das würde Finnie nicht gefallen und seinem Zahlmeister auch nicht: Wee Hamish Mowat. Ein offener Drogenkrieg rückte näher, und viele Unschuldige würden ins Kreuzfeuer geraten.
Aber das Schlimmste an der Sache war, dass Logan mit DI Steel reden musste.
Sie war in ihrem Büro. Als Logan eintrat, beladen mit zwei Tassen Kaffee und einem Friedensangebot aus der Kantine, starrte sie grimmig auf ihren Computerbildschirm. »Ich hab dir ein Bacon-Sandwich mitgebracht.«
Sie beäugte das in Alufolie eingeschlagene Päckchen und zog
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