Blinde Zeugen: Thriller
–«
»RÜHR MICH NICHT AN!« Susan wich zurück und schoss wütende Blicke in die Runde. »Wie konntest du dieses perverse Dreckschwein in mein Haus bringen? Wie konntest du mich so anlügen?« Sie holte tief Luft und spuckte Rory ins Gesicht. »Dich hätte man gleich nach der Geburt ersäufen sollen!«
Der kleine Mann biss sich auf die Unterlippe und blinzelte. Blinzelte noch einmal. Eine dickte Träne quoll aus seinem rotgeränderten Auge und rann an seiner Nase entlang. Schließlich richtete er sich mühsam auf und schlich aus der Küche. Er schlug noch nicht einmal die Tür hinter sich zu.
Die Abendluft war lau, der meerblaue Himmel mit hohen weißen Wolkeninseln gesprenkelt. Aus einem der Nachbargärten kam das Geräusch eines Rasensprengers – fssssssssssss, ftt, ftt, ftt, fsssssssssssssss … – durchsetzt mit Kinderlachen. Fette Tauben gurrten in der dichten grünen Hecke. Und alles zusammen machte Logan noch deprimierter, als er ohnehin schon war.
Wiktorja kam hinaus in den Garten, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich ihm gegenüber in den Schatten eines großen Stechpalmenbuschs.
Logan blickte nicht auf. »Wie geht es Rory?«
»Du hättest ihn nicht schlagen dürfen.«
Womit sie wohl recht hatte.
»Er ist einfach …« Logan schloss die Augen. Atmete tief durch. »Die meiste Zeit ist er ja okay, aber …«
»Ich glaube, deine Vorgesetzte ist nicht besonders glücklich über dein Verhalten.«
Das war noch stark untertrieben. Susan war wutentbrannt hinausgestürmt und hatte erklärt, sie würde zu ihrer Mutter zurückgehen, und Steel war ihr hinterhergeeilt und hatte alles zu erklären versucht: Es sei nicht ihre Idee gewesen, sie sei von Anfang an dagegen gewesen, es sei alles Finnies Schuld, und wenn Susan nur einen Moment warten wollte, dann könnten sie über alles reden, und es sollte doch nur für ein paar Tage sein, und es tue ihr wirklich total leid …
Logan nahm noch einen kleinen Schluck Whisky und versuchte nicht an den enttäuschten und vorwurfsvollen Blick in Rorys Augen zu denken. »Es war keine Absicht.«
»Er sagt, es ist nicht das erste Mal, dass du ihn geschlagen hast.«
»Ich habe … Ich habe es nicht gewollt. Mir ist einfach die Hand ausgerutscht.«
Wiktorja starrte ihn an, aber Logan konnte ihr nicht in die Augen sehen.
»Ich weiß, dass Rory aussieht wie der nette alte Herr von nebenan, aber das ist er nicht. Wir haben ihn viermal dabei erwischt, wie er sich an kleinen Mädchen vergangen hat, die alle nicht älter als sechs waren. Der Himmel weiß, wie oft er ungestraft davongekommen ist. Ich habe einfach …« Er zog seine Zigaretten aus der Tasche, aber die Schachtel war leer. Er knüllte sie zusammen, warf sie weg und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich weiß auch nicht.«
Sie saßen eine Weile schweigend da und lauschten den Geräuschen des milden Donnerstagabends. Dann sagte Wiktorja: »Ich bin vom Dienst suspendiert worden, wegen der Vorfälle in Nowa Huta. Acht Monate Undercover-Arbeit, alles für die Katz.« Sie schnippte mit den Fingern. »Acht Monate habe ich versucht, Ehrlichmann davon zu überzeugen, dass ich eine Drogendealerin aus Warschau bin, die nach oben will. Acht Monate habe ich versucht, seine Schläger auszuquetschen, um an Informationen über Gorzkiewicz zu gelangen. Über den Uhrmacher.«
»Du hast was gemacht?« Logan starrte sie an.
»Ich war nicht hundertprozentig ehrlich zu dir. Aber –«
»Das kannst du verdammt noch mal laut sagen!«
Sie trank ihren Whisky aus. »Was hätte ich denn tun sollen? Es war schon schlimm genug, dass du wusstest, dass ich Polizistin bin.«
»Du hast undercover ermittelt? Wie kann das sein?«
»Hast du wirklich geglaubt, ich wäre in die Krakauer Marienkirche gegangen, um zu beten? Ich musste meinen Füh rungsoffizier kontaktieren und ihm mitteilen, dass wir eine Adresse von Gorzkiewicz hatten.«
Logan starrte sie wütend an. »Und kurz darauf versucht jemand, uns über den Haufen zu schießen.«
»Es tut mir leid. Ich hätte dich niemals nach Nowa Huta mitnehmen dürfen. Das war unverantwortlich.«
Logan griff nach seinem Whisky. Das Glas zitterte so, dass der Alkohol fast überschwappte. »Habt ihr ihn gefunden? Den Mann, den ich niedergeschossen habe?«
»Ich hätte Verstärkung anfordern sollen …«
»Habt ihr in den Krankenhäusern nachgefragt? In den Arztpraxen? Vielleicht ist er ja gar nicht tot.«
»Weißt du, wie viele Abteilungen hinter Gorzkiewicz her sind? Alle sind
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