Blinde Zeugen: Thriller
Inspector .‹« Sie machte die internationale Geste für »Wichser«. »Versuch’s noch ein Mal, dann verpissen wir uns und gehen mittagessen.«
Logan tat es, und auf der anderen Seite ließ sich eine Stimme vernehmen – weiblich, verängstigt: »Wer ist da?«
»Polizei. Würden Sie bitte die Tür aufmachen?«
»Ich … Ich bin nicht … Worum geht es?«
Steel stellte das Fluchen ein und trat gegen die Tür, dass sie nur so in den Angeln wackelte. »Sag Harry, er soll seinen krüppligen Arsch hier rausbewegen! Ich hab ’nen beschissenen Tag, und ich bin nicht in der Stimmung für irgendwelche Mätzchen!«
Zwei Minuten später standen sie im Wohnzimmer. Drinnen war es erstaunlich geräumig: drei Schlafzimmer, Bad, Küche – und die Schaltzentrale von Harry Jordans kleinem Verbrecherimperium.
Im Wohnzimmer herrschte gedämpftes Licht; die Vorhänge waren zugezogen, und nur eine ramponierte Stehlampe verbreitete einen schwachen Schein. Drei erschreckend dünne Frauen, alle nur äußerst spärlich bekleidet, drückten sich im Hintergrund herum. Sie hatten dunkle Ringe unter den Augen – so ziemlich die einzigen Farbtupfer an ihren ausgemergelten Leibern. Nun ja, ganz ohne Ware konnte ein Zuhälter nun mal kein Zuhälter sein.
Harry Jordan saß mitten im Zimmer in einem Rollstuhl; beide Beine waren gerade ausgestreckt und steckten von der Hüfte bis zu den Knöcheln in Kunststoff-Gipsverbänden. Der Rest von ihm sah auch nicht viel besser aus – die Nase wie eine zerquetschte Pflaume, die ganze linke Gesichtshälfte mit frischen lila und gelben Blutergüssen übersät. Laut seiner Polizeiakte war er erst neunundzwanzig, aber mit seinen strähnigen Haaren und der kahlen Stelle am Hinterkopf sah er aus wie mindestens vierzig.
»Harry!« Steel strahlte ihn an. »Ein kleines Vögelchen hat mir gezwitschert, du hättest ’ne kleine Meinungsverschiedenheit mit Creepy Colin McLeod gehabt.«
Ein Joint glomm zwischen Harrys Lippen, und der Geruch füllte die ganze Wohnung aus – eine Mischung aus Schweiß, Kräutern und Schokolade. Er kniff die Augen zusammen und blies eine Lunge voll Rauch aus. Seine Pupillen waren dunkel und geweitet. »Das ist rein medizinisch, okay? Ich habe starke Schmerzen …«
»Geschieht dir recht.« Steel machte es sich auf dem riesigen grauen Sofa bequem und legte die Füße auf den Couchtisch.
Logan hatte das Gefühl, dass er mal wieder den »guten Bullen« spielen sollte. »Wir müssen uns mit Ihnen über Colin McLeod unterhalten.«
Der Joint fiel Harry aus dem Mund. » Aye … Wa …« Er sah auf die selbstgebaute Tüte hinunter, die auf dem burgunderfarbenen Teppich vor sich hin qualmte, und starrte dann eine der spindeldürren Frauen an. »Hey, bist du blind oder was? HEB DAS AUF!«
Sie sprang herbei, und Logan sah die Einstichnarben auf der bleichen Haut ihrer Arme, als sie den Joint auflas und ihn zwischen Harrys zitternde Finger steckte, wo er hingehörte.
» Tz, tz «, machte Steel. »Kannst nicht mal deinen eigenen Spliff aufheben, Harry. Creepy hat’s dir ganz schön gegeben, wie?«
Noch ein tiefer Zug. Harry schloss die Augen und wartete darauf, dass das Delta-9-Tetrahydrocannabiol seine Wirkung tat. »Mädels«, sagte er und stieß dabei eine Wolke süßlich riechenden Rauchs aus, »lasst uns allein …«
Steel grinste. »Was ist los, Harry? Hast wohl Angst, die armen Dinger könnten dahinterkommen, dass du doch nicht unbesiegbar bist?« Sie deutete auf den Rollstuhl. »Bisschen spät dafür, oder?«
Harry ließ die Hand auf die Armlehne krachen. »VERSCHWINDET, HAB ICH GESAGT!«
Die Mädchen huschten hinaus und machten die Tür hinter sich zu. Die einzigen Geräusche waren jetzt Harrys schweres Atmen und das Gedudel aus der unteren Wohnung, wo irgendein Trottel Whitney Houstons Greatest Hits hörte.
»Also«, sagte Steel und streckte sich, wobei sie mit den Füßen einen Stapel schwedischer Hardcore-Pornos vom Couchtisch stieß, »Colin McLeod ist gestern Abend hier aufgekreuzt und hat dir mit einem Klauenhammer die Kniescheiben zerdeppert? Das muss ja saumäßig wehtun!«
Harry nuckelte einfach weiter an seinem Joint, also schaltete Logan sich ein: »Sie sollten im Krankenhaus sein, wo man sich um Sie kümmern kann.«
»Scheißkrankenhäuser, die machen mich ganz kirre, Mann. Hab mich selbst entlassen.« Noch ein Zug. »Außerdem hab ich mir was gegen die Schmerzen und Wodka besorgt, verstehst du?« Er starrte grimmig auf die geschlossene Tür. »Die
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