Blinde Zeugen: Thriller
sich wieder, und ihre Schwester schenkte ihr nach.
»Er haut ihn Harry mit voller Wucht aufs Knie. Und Harry schreit . Und dann schlägt er wieder zu, und immer wieder, und Harry windet sich am Boden, aber er kann sich nicht befreien, weil Colin auf ihm hockt. Und auf ihn einschlägt. Und dann ist Harry plötzlich ganz still, er rührt sich nicht mehr, aber Colin macht immer noch weiter. Der Hammer macht so ein widerliches Geräusch, so dumpf und matschig, und Blut und Knochen und alles spritzt durch die Gegend … Und dann sieht er mich …«
Das Mädchen mit dem Eier-Nachthemd nahm einen Schluck direkt aus der Flasche. »Sie werden ihr helfen, nicht wahr? Ihr einen Arzt besorgen oder so?«
»Hat Colin McLeod Ihnen das angetan?«
Kylie schüttelte den Kopf, und bei der Bewegung flogen ein paar Tropfen Wodka auf die Bettdecke. »Nein. Colin liebt mich … Er wollte nur, dass ich ihm einen blase, weil – er war … ganz steif, nachdem er Harry fertiggemacht hatte.« Ihre Aussprache wurde immer undeutlicher. »Sein ganzer Arm war voll mit Harrys Blut, und sein …« Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. »Sommersprossen. Versteh’n Sie? Genau wie Sommersprossen …«
»Und wer hat Sie dann geschlagen?«
Kylies Schwester spuckte aus. »Was glauben Sie denn?« Sie deutete zur Wohnzimmertür. »Harry kommt aus dem Krankenhaus zurück, das war so gegen drei Uhr früh, und fängt an, sich zuzuschütten. Und er tönt, dass er der Boss ist und Creepy dafür bezahlen wird. Dass niemand Harry Jordan rumschubst …« Sie tätschelte Kylies Hand. »Und diese dumme Kuh da fängt an zu lachen. Weil, da hockt er in seinem Rollstuhl und erzählt uns, dass niemand ihn rumschubsen kann. Und er greift ihr voll in die Haare, okay? Damit sie nicht weglaufen kann. Und er fängt an, auf sie einzuschlagen, und brüllt, es wäre ihre Schuld, dass Creepy dauernd hier vorbeikommt … Wir haben versucht, ihr zu helfen, ehrlich, aber er war … Es tut mir leid, Kylie.«
Kylie brachte ein Lächeln zustande, und Logan sah, dass ihr tatsächlich ein paar Zähne fehlten. »Ich weiß, Tracey, ich weiß.«
Logan nahm sein Notizbuch heraus. »Okay, wir machen jetzt Folgendes: Ich rufe einen Krankenwagen. Dann können wir Ihre Aussagen aufnehmen, während wir warten.«
»Nein! Nix da! Keine Aussagen.« Tracey war sofort aufgesprungen. »Und kein Krankenwagen – Harry flippt aus, wenn er das erfährt. Können Sie nicht jemanden herholen, der sie verarztet oder so?«
»Sie wollen, dass er damit davonkommt ?«
»Ich werde nichts bezeugen. Sie haben gesehen, was er mit Kylie gemacht hat – ich bin doch nicht blöd.«
»Aber –«
»Bitte.« Kylie fing an zu weinen. »Bitte, erzählen Sie es niemandem! Es war nicht Harrys Schuld. Ich hab ihn dazu gebracht. Ich hätte nicht lachen sollen.«
»Kylie, wir müssen –«
»Nein!«
»Na schön.« Logan zog eine Visitenkarte der Grampian Police aus seinem Portemonnaie, drehte sie um und schrieb seine Handynummer auf die Rückseite. »Sollten Sie es sich anders überlegen, rufen Sie mich an.«
Tracey ging mit ihm bis zur Wohnungstür. »Was ist jetzt mit dem Doktor?«
»Ich kenne da eine praktische Ärztin, die mir den einen oder anderen Gefallen schuldet. Ich werde sie anrufen und fragen, ob sie mal vorbeischauen kann.«
»Danke.«
Logan stand in der Tür und sah auf das Mädchen in dem verdreckten Nachthemd hinunter, mit ihren zerstochenen Armen und den eingefallenen Wangen. »Sie müssen doch nicht so leben. Wir können dafür sorgen, dass Sie und Ihre Schwester in ein Rehabilitationsprogramm kommen. Eine therapeutische Wohngemeinschaft – weg von den Drogen, weg von der Straße, und weg von Schweinen wie Harry Jordan.«
»Na klar«, erwiderte sie mit einem halben Lächeln, »und vielleicht lernen Kylie und ich zwei nette Typen kennen und heiraten und kriegen Kinder, und wir wohnen Tür an Tür in Cults, und niemanden juckt es, dass wir früher mal Nutten und Junkies waren. Schöner Traum, echt.«
Steel lehnte rauchend am Wagen und ließ sich von der Sonne bescheinen. »Na, ich will doch hoffen, dass du ein Kondom benutzt hast«, meinte sie, als Logan sich ans Steuer setzte. »Ich fand, die sahen ziemlich abgefuckt aus.«
»Warum machen wir uns eigentlich die Mühe?« Logan ließ den Motor an. »Ich habe die letzten zehn Minuten damit verbracht, mir anzuhören, wie ein achtzehnjähriges Mädchen namens Kylie Lügen erzählt, um den Zuhälter zu schützen, der sie grün
Weitere Kostenlose Bücher