Blinder Einsatz
selbst hast doch gesagt, es sei ein interessantes Spiel.«
»Da habe ich aber von den psychologischen Aspekten des Pokerspiels gesprochen, eines echten Pokerspiels, mit Menschen aus Fleisch und Blut, die trinken und rauchen, nicht von deinem sterilen Internetpoker. Und außerdem habe ich nie gesagt, dass ich es klasse finde, wenn du den ganzen Tag vor dem Computer hockst.«
»Es ist vielleicht nicht ganz dasselbe, aber ich muss mich trotzdem auf jeden einzelnen Spieler einlassen, ich mache mir auch Notizen über sie. Ja, komm schon. Na mach schon, bezahl doch, na los! Ja! Und schon wieder 2000 Dollar gewonnen!«
»Jetzt habe ich aber die Nase voll! Von mir aus kannst du hier weiterspielen und Selbstgespräche führen, bis du schwarz wirst, ich werde dich nicht länger stören. Falls du doch noch was von mir willst, kannst du dich ja melden. Aber ich warne dich, vielleicht ist es dann schon zu spät. Dir kann man nur wünschen, dass du mal mit dem wirklichen Leben in Kontakt kommst, dann merkst du vielleicht, dass du schon viel mehr und viel wichtigere Dinge verzockt hast als bloß Geld. Mach’s gut!«
Constance stürmte aus der Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu.
Es war nicht ihr erster Streit mit Hugh. Sie hatte auch schon öfter gedroht, ihn zu verlassen, was aber mehr Taktik als Ernst gewesen war. Meist schenkte Hugh ihr dann eine Weile mehr Aufmerksamkeit, ging mit ihr aus und spielte etwas weniger. Aber es dauerte nie lange, und alles war wie gehabt.
An diesem Abend war Constance entschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen. Dabei war sie eher enttäuscht als wütend. Fast bereute sie es, Hugh ihren Eltern vorgestellt zu haben. Das hatte ihr durchaus etwas bedeutet – sie hatte sich eine gemeinsame Zukunft mit ihm ausgemalt. Die smarten und aalglatten Managertypen hatte sie gründlich satt. Hugh hatte frischen Wind in ihr Leben gebracht, er hatte ihr gezeigt, dass man das Leben auch etwas weniger verbissen angehen konnte. Constance hatte ein sehr klares Bild von sich, ein zu klares, wie sie manchmal fand. Sie fühlte sich in einem endlosen Wettrennen, einer Leistungsspirale gefangen: Erst der beste Abschluss ihres Jahrgangs an einer der großen Unis, danach der beste Posten in der angesehensten Firma. So ging das schon ewig: Immer war sie Klassenbeste gewesen, war von ihren Eltern in Tanz- und Tenniskurse gesteckt worden. Nun war sie dreißig und hatte das Gefühl, immer nur vorgezeichneten Bahnen gefolgt zu sein, ohne jemals etwas selbst entschieden zu haben. Die Begegnung mit Hugh hatte ihr gezeigt, dass es auch noch ein anderes Leben gab.
Bei ihren Freunden war Hugh gut angekommen. Constance lag viel daran, wie die anderen den Mann sahen, den sie liebte. Wenn sie irgendwo zum Essen eingeladen waren, bedachte sie ihn häufig mit verliebten Seitenblicken. Hugh konnte über alles mit Begeisterung reden, er war kultiviert und hatte Stil. Nur dass er eben leider ein Spieler war.
Constance stand auf der Straße und versuchte, ein Taxi heranzuwinken. Sie war völlig aufgewühlt von der Auseinandersetzung. Im Grunde hoffte sie, dass Hugh zur Besinnung kam und ihr hinterherstürmte. Vergebens. Während der Taxifahrt zogen die Lichter von Paris unter einem Tränenschleier an ihr vorbei. Ein verschwommener Alptraum. Welch eine Enttäuschung – sie fühlte sich schwach und hilflos. Schmerzhafte Erinnerungen gingen ihr durch den Kopf. Etwas schien für immer zu Ende gegangen zu sein.
Hugh spielte unterdessen um hohe Summen. In solchen Momenten durfte er sich nicht ablenken lassen. Ihm waren schon einmal 3000 Dollar durch die Lappen gegangen, weil er versucht hatte, sich nebenher etwas in der Pfanne zu brutzeln. Als aus der Küche der Geruch von Verbranntem herüberwehte, war er kurz aufgesprungen, um den Herd abzudrehen, und schon war es passiert: Seine Überlegungszeit war abgelaufen, und er schied gegen seinen Willen aus der Partie aus. Seitdem stand er nicht mehr vom Computer auf, solange noch ein Spiel offen war.
Es dauerte eine Weile, ehe er richtig begriff, dass Constance wahrhaftig gegangen war. Auch ihre Vorwürfe kamen ihm erst nach und nach zu Bewusstsein. Er lief ans Fenster und sah gerade noch, wie sie in das Taxi einstieg.
»Constance!«, rief er.
Aber sie hörte ihn offensichtlich nicht. Er griff zu seinem Handy, um sie anzurufen, doch da piepte sein Computer, um ihm anzuzeigen, dass ihm nur noch fünfzehn Sekunden blieben, um zu entscheiden, ob er mitgehen wollte. Er stürzte zum
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