Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
zum Parkplatz gelangt, da hörte man schon die Polizeisirenen. Ich setzte Nathaniel und Micah ins Bild, was passiert war und was gleich auf sie zukäme. Ronnie saß am Boden und hielt sich stöhnend den Kopf. Ich versuchte gar nicht erst, mit ihr zu reden. Dann bogen Streifenwagen reifenquietschend auf den Kiesparkplatz ein, und im vordersten saß Sheriff Melvin Christopher. Von der Staatspolizei war weit und breit nichts zu sehen. Na großartig.
73
D ie Sanitäter des Krankenwagens hatten Ronnie eine Decke gegeben. Sie schienen zu glauben, dass sie unter Schock stand. Sie stand nicht unter Schock, sie wurde allmählich nüchtern. Und das mitten in einer Morduntersuchung, nachdem sie in einer Nacht mehr getrunken hatte als in den sechs Jahren, die ich sie kannte. Die Sanitäter hatten sie angewiesen, sich in das offene Heck des Krankenwagens zu setzen. Vielleicht weil sie dann etwas zu tun hatten. Es war gut, beschäftigt zu bleiben.
Körperlich ging es Ronnie beschissen, aber wir anderen fühlten uns auch nicht besonders wohl. Der Sheriff begrüßte mich mit: »In den vielen Klamotten hätte ich Sie fast nicht erkannt, Miss Blake.«
»Marshal Blake für Sie, Sheriff«, erwiderte ich süß lächelnd. »Und für einen heterosexuellen Mann in einer ländlichen Gegend zeigen Sie ein befremdliches Interesse an Frauenkleidung.« Von da an ging’s bergab. Ich gebe sogar zu, dass ich mit daran schuld war. Das mit der Frauenkleidung hätte ich mir verkneifen oder wenigstens nicht seine sexuelle Orientierung in Frage stellen sollen, aber, hey, er bekam diese schreckliche dunkelrote Gesichtsfarbe, bevor er anfing zu brüllen. Einen Moment lang glaubte ich, ich hätte einen Herzinfarkt ausgelöst. Deputy Douglas musste uns trennen und seinen Boss auf einen kleinen Spaziergang auf dem Parkplatz mitnehmen.
Das verschaffte mir die Zeit, um nachzusehen, wie es Micah und Nathaniel ging. Micah sagte gerade ruhig und geduldig, aber so, dass man gleich wusste, er sagte es nicht zum ersten oder zweiten Mal: »Ich arbeite nicht in dem Club.«
Der Hilfssheriff, der ihn befragte, war zu groß für seine Körpermasse, und Hände und Füße hatten beim Wachsen nicht mitgehalten. Er war entweder weit unter fünfundzwanzig oder er bekam zu wenig zu essen. »In welchem Club arbeiten Sie stattdessen?«
Micah sah mich hilfesuchend an.
Ich versuchte es. »Deputy«, sagte ich.
Er drehte den Kopf. Sein Blick huschte zu dem Dienstausweis in meiner Hand, doch da sein Vorgesetzter davon nicht beeindruckt gewesen war, durfte er das auch nicht sein. Er hatte helle bläuliche Augen, die gar nicht freundlich, fast schon gemein blickten. »Ich befrage hier einen Zeugen.«
Ich setzte ein Lächeln auf und probierte einen freundlichen Blick, aber der ging daneben. »Das sehe ich, Deputy«, ich las sein Namensschild, »Patterson, aber der Zeuge hat Ihre Frage schon mehrmals beantwortet.«
»Er will mir nicht sagen, wo er arbeitet.«
»Sie haben nicht gefragt, wo ich arbeite«, sagte Micah.
Deputy Patterson sah ihn aus schmalen Augen an und hielt das wahrscheinlich für einen harten Blick. »Ich habe sehr wohl gefragt, wo Sie arbeiten, und Sie wollten nicht antworten.«
»Sie haben gefragt, in welchem Club ich arbeite. Ich arbeite in gar keinem Club. Ich verdiene mein Geld nicht mit Strippen, ist das jetzt klar?« Micah wurde allmählich ungeduldig. Dabei war er einer der gelassensten Leute, die ich kannte. Was hatte Patterson gesagt, um diesen Ton bei ihm zu provozieren?
Patterson war deutlich anzumerken, dass er ihm nicht glaubte. Er hätte dringend an einem nichtssagenden Gesicht arbeiten müssen, denn im Augenblick sah man ihm jeden Gedanken an. »Was haben sie dann in dem Club gemacht?« Eine boshafte Freude glitt über sein Gesicht. »Oh, ich verstehe. Sie gucken sich gern anderer Leute Murmeln und Schwengel an.«
»Murmeln und Schwengel«, sagte ich. »Was soll denn das sein?«
»Na, Schwanz und Eier«, sagte er in einem Ton, als ob das jeder wüsste.
Micah sah mich an, und trotz der Sonnenbrille war mir klar, wie er guckte. Mir wurde langsam klar, was ihm auf die Nerven ging.
»Patterson, ich habe Ihnen nur aus Höflichkeit erlaubt, meine Freunde zu befragen. Das ist mein Tatort, nicht Ihrer, und wenn Sie keine Frage stellen können, die die Ermittlung weiterbringt, dann sollten sie woanders hingehen.«
Ich weiß nicht, was er darauf erwidert hätte, denn der Sheriff näherte sich hinter mir. Ich spürte es, bevor sich bei Patterson
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