Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
denn er sagte: »Zwing mich nicht, dieses Gespräch mit dir zu führen, wenn du nackt bist, Anita. Bitte.« Das Bitte klang ernst, nicht wie eine nachgeschobene Höflichkeitsfloskel.
»Ich würde mir sehr gern etwas anziehen, Richard, aber ich habe lauter Schleim an mir. Den möchte ich mir nicht an meine Sachen schmieren.«
»An der Badezimmertür hängt mein Morgenmantel«, sagte Jason. »Der könnte passen.«
»Seit wann trägst du so was?«, fragte ich.
»Ich habe ihn geschenkt bekommen.«
Ich sah ihn groß an.
»Jean-Claude fand, ich sehe verfroren aus.«
Ich glaube, er versuchte zu grinsen, aber die Wolfsschnauze war nicht dafür gemacht. »Lass mich raten: Schwarze Seide?«
»Blaue, passend zu meinen Augen.« Leicht hinkend setzte er sich in Bewegung.
»Ich hole ihn mir. Ihr bleibt alle, wo ihr seid, und benehmt euch.« Ich ging ins Bad, obwohl ich mich nicht entsinnen konnte, an der Tür etwas hängen gesehen zu haben. Doch es war, wie Jason sagte. Es war ein hübsches Blau, weich und leuchtend. Ich musste sehr müde gewesen sein, dass mir der entgangen war.
Als ich ihn überzog, fiel mein Blick in den Spiegel. Reste des gestrigen Make-ups umrahmten meine Augen. Der Lidstrich war verschmiert, sodass ich mehr nach Goth aussah als sonst. Vom Lippenstift war nichts mehr zu sehen. Der farblose Schleim in den Haaren war getrocknet, sodass sie eine ganz üble Bettfrisur abgaben, die nur eine Dusche beheben konnte. Ich war von oben bis unten voll mit dem angetrockneten Zeug, das nun bei jeder Bewegung abflockte. Außerdem lief mir was an den Beinen hinunter, was man gewöhnlich vergisst, wenn man sonst immer Kondome benutzt. Ich nahm mir die Zeit, es notdürftig abzuwischen, weil es sonst zu peinlich gewesen wäre.
Das Blau war zu hell für meine Haut und der Morgenmantel zu breit in den Schultern. Das war wieder so ein Moment, wo ich mich wunderte, wieso mich überhaupt jemand haben wollte. Ich sah es einfach nicht. Aber vielleicht machte ich mich nur runter, weil mir vor dem Gespräch mit Richard graute. Vielleicht.
Ich atmete ganz tief ein und ganz langsam aus und öffnete die Tür. So tapfer war ich schon lange nicht mehr gewesen. Lieber hätte ich mich jetzt mit ein paar üblen Schurken herumgeschlagen als mit Richard. Schurken waren einfach: Man brauchte ihnen nur mit dem Töten zuvorkommen. Richard war so manches, aber einfach ganz bestimmt nicht.
55
J ason verließ das Zimmer ohne ein weiteres Wort. Nathaniel sagte, er werde draußen bei den Werratten warten. Keinem gefiel es, dass wir allein blieben, auch mir nicht. Ich war mir nicht mal sicher, ob Richard gern mit mir allein blieb. Aber er hatte darum gebeten, ich nicht.
Er blieb auf dem Boden sitzen, als würde er nie wieder von dort weggehen. Da es keinen Stuhl gab, zog ich das fleckige Bettzeug von der Matratze und setzte mich auf die Bettkante. Ich setzte mich halb in den Schneidersitz, das andere Bein ließ ich herunterhängen, aber ich sorgte dafür, dass der Morgenmantel möglichst viel von mir bedeckte.
So saßen wir eine Minute lang schweigend da, aber es kam mir länger vor. Ich brach das Schweigen, weil ich nicht länger mitansehen konnte, wie er da mit hängendem Kopf kniete. Der Anblick drängte mich, ihn zu trösten, und das würde schiefgehen. Richard nahm von mir keinen Trost mehr an oder wenn, dann bestrafte er mich später dafür. Auf dieses Spiel ließ ich mich nicht mehr ein.
»Was ist los, Richard? Du wolltest allein mit mir reden. Wir sind allein, also rede.«
Er bewegte nur die Augen, um mich anzusehen, und der Blick reichte mir schon. Er war wütend. Seine Wut strömte nicht mit seiner Macht hervor, um den Raum damit zu füllen, aber wahrscheinlich nur, weil er sich hart abschirmte. So hart wie ich. »Bei dir klingt das so einfach.«
»Ich sage nicht, dass es einfach ist. Ich sage nur, du wolltest reden, also rede.«
»Einfach so.«
»Mann, Richard, du hast um das Gespräch gebeten, nicht ich.«
»Du hast mich auf den Streit mit Clair angesprochen. Ich wollte das nicht vor allen ausbreiten.«
»Du brauchst es auch vor mir nicht auszubreiten.«
»Ich denke schon.«
»Was willst du damit sagen?«
Er schluckte hörbar, dann schüttelte er den Kopf. »Fangen wir noch mal von vorne an. Ich versuche, nicht wütend zu werden, wenn du versuchst, nicht auf mir herumzuhacken.«
»Ich hacke nicht auf dir herum, Richard. Ich will nur, dass du anfängst zu reden.«
Er hob den Kopf und sah mich voll an, nicht mehr
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