Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
hätte sie weggerissen wie vor etwas Glutheißem, doch er schnappte sie und schlang seine warmen Finger darum. Seine Hände waren so viel größer als meine, sodass er sie darin verschwinden lassen konnte, als wäre ich ein Kind. Das hatte ich an Richard nie gemocht. Er war so viel größer als ich, dass ich mich manchmal überwältigt gefühlt hatte. So wie jetzt.
Wenn etwas zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es nicht wahr. Das hatte ich schon vor Langem erkannt. Wenn jemand einem alles verspricht, was man sich wünscht, lügt er.
Er zog mich in seine Arme und barg das Gesicht an meiner Brust, die noch bekleidet war. Doch das Gefühl dabei ließ mich die Augen schließen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich Jean-Claude an. Der blickte nicht auf Richards nackten Rücken, sondern in mein Gesicht. Ich sah, dass er Angst hatte, Angst, dass ich nein sagen könnte.
Richard rieb das Gesicht an der Seide, und sein Atem drang heiß durch den Stoff, als müsste er ihn versengen. Ich schauderte, als wäre mir kalt, obwohl ich mich in seinen Armen fühlte, als müsste ich nie wieder frieren. Ich konnte nicht anders, ich strich durch seine Haare, die noch so bedauerlich kurz waren, aber dick und schwer und … eben Richards.
Jean-Claude kam auf die Knie. Er streckte keine Hand nach mir aus, sah mich aber bittend an, und seine Stimme flüsterte mir durch den Kopf: »Ma petite, durch unser Zögern gefährden wir alle, die von uns abhängen. Alles, wofür wir so hart gearbeitet haben, können wir schon beim nächsten Mal verlieren, wo mich oder Richard jemand herausfordert. Wenn wir unsere Macht als Triumvirat nicht endlich annehmen, wird eine Nacht kommen, wo uns jemand angreift und wir unterliegen. Dass Richard vielleicht nur das eine Mal in dein Bett kommt und dann nicht wieder oder dass du mit Micah und Nathaniel unzufrieden wirst, ist nicht das Schlimmste, was passieren kann. Das Schlimmste wäre es, wenn wir sterben und unsere Leute der Gnade anderer ausgeliefert sind, denen sie nichts bedeuten.« Er streckte mir die Hand hin. »Komm zu uns, ma petite, komm zu uns und lass uns eine Festung bauen, hinter der unsere Leute sicher sind.« Das Letzte sagte er laut.
Richard hob das Gesicht, um an mir hinaufsehen zu können. »Bitte, Anita, bestrafe nicht alle, nur weil ich ein Arschloch gewesen bin.«
Jean-Claude war nah genug, dass ich seine Hand hätte nehmen können. »Bitte, ma petite, wenn es etwas gibt, das dich dazu bewegen kann, sag es, und ich werde es tun.«
Ich atmete tief ein und langsam wieder aus, streckte die Hand aus und berührte seine Fingerspitzen. Er kam ein Stückchen näher, sodass er meine Hand nehmen konnte, und das war das Entscheidende. Er nahm meine Hand, und ich wusste, dass nichts von dem, was er in meinem Kopf geflüstert hatte, gelogen war. Was würde ich tun, um meine Leoparden zu schützen? Alles. Was würde ich tun, um den Schaden, den Richard in seinem Rudel angerichtet hatte, zu beheben? Fast alles. Was würde ich tun, um Jean-Claudes Vampire vor einer gnadenlosen Herrin wie Belle Morte zu bewahren? Alles.
Eine Nacht voll metaphysischem oder physischem Sex mit einem Mann, den ich liebte, und einem Mann, der mir immer wieder das Herz brach – folglich musste ich ihn wohl ebenfalls lieben –, schien mir ein geringer Preis zu sein. Oder ich wollte einfach nur zum ersten Mal mit beiden ins Bett. Ja, zum ersten Mal, allen Gerüchten zum Trotz. Vielleicht fürchtete ich, die Chance nie wieder zu bekommen, und wollte bloß nicht diejenige sein, die nein sagte. Vielleicht.
58
W ir blieben auf der Ecke des Bettes, als gäbe es keinen anderen Platz. Ich war mir noch immer nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Richard fühlte sich unbehaglich mit Jean-Claude im Bett. Jean-Claude war geduldig und wartete ab, weil er wusste, wenn er drängte, würde einer von uns Reißaus nehmen. Als Richards Mund meinen fand und ich gierig seinen Geschmack aufsaugte wie eine Suchtkranke, dachte ich, der Ausreißer würde ich sein. Doch als Richard zum dritten Mal zusammenzuckte, nur weil Jean-Claude seinen nackten Rücken berührte, änderte ich meine Meinung.
Er fluchte auf Französisch, dann sagte er auf Englisch: »Ich habe mich nur an deiner Schulter abgestützt, mehr nicht, und du reagierst, als wollte ich dir die Unschuld rauben. Ich versichere dir, dass mich nur Anitas Unschuld interessiert, nicht deine.«
Richard seufzte und ließ den Kopf hängen, sodass ich, obwohl ich auf seinem Schoß
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