Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
wäre er gestört worden. Es ist etwa so wie bei einem Schlangenbiss: Wenn der Biss nicht giftig ist, reißt man das Tier besser nicht ab. Vampirzähne sind zwar nicht so stark gebogen wie die Zähne einer Schlange, aber durch Losreißen macht man es mitunter schlimmer.«
»Das tut man doch ganz automatisch, Anita.«
»Das will ich nicht bestreiten, Zerbrowski, ich sage nur, dass es nicht gut ist. Man macht die Wunde damit größer.«
»Er hat sie also gebissen, und sie hat sich losgerissen und die Oberschenkelarterie verletzt. Wollen Sie damit sagen, dass er sie nicht absichtlich getötet hat?«
Ich zuckte die Achseln. »Ich sage nur, dass sie daran verblutet ist. Das geht innerhalb von zwanzig Minuten. Die meisten Leute wissen das nicht.«
»Anita, tun Sie mir das nicht an.«
»Was?«
»Ich hatte extra das Beste für den Schluss aufgehoben. Sie hatte einen kleinen Koffer bei sich mit Sachen, die ich für die Arbeitskleidung einer Stripperin halten würde – lauter Fransen und sonst nichts. Wenn sie Stripperin war, dann haben wir einen unserer Täter. Und jetzt kommen Sie daher und sagen, dass er sie gar nicht töten wollte. Wenn das stimmt, dann gehört er nicht zur Tätergruppe. Ich habe gerade einen Hinrichtungsbefehl für ihn beantragt. Ich möchte Sie ungern den Falschen töten lassen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Für ihren Tod wäre er trotzdem verantwortlich, wenn er einfach abgehauen ist, ohne die 911 anzurufen.«
»Klar, für Vampire gibt es keinen Totschlagsparagraphen. Es wäre also auf jeden Fall Mord.« Zerbrowski blickte mich sehr ernst durch seine Brille an. »Sie glauben aber nicht an eine Tötungsabsicht?«
»Wenn er die Arterie hätte öffnen wollen, hätte er anders zugebissen, brutaler«, antwortete ich achselzuckend. »Ich habe schon viele Vampiropfer gesehen, sehr viele. Das hier sieht mir nach einem neuen Vampir aus, einem ganz neuen, der noch nicht weiß, wie er die Reißzähne gebrauchen muss. Wer seit zwei Jahren tot ist, sollte solche Fehler eigentlich nicht machen.«
»Dann hat er es mit Absicht getan.«
Ich seufzte. »Ich frage mich allmählich, was den kleinen Vampiren von Malcolms Kirche so beigebracht wird.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich dachte immer, ihre Mentoren leisteten etwa das Gleiche wie die bei den Wertierrudeln, die ich kenne. Die bringen den Neulingen das Jagen bei und wie sie sauber und effizient töten können.«
»Sie gestehen etwas für Ihre pelzigen Freunde?«, fragte er und lächelte nicht so sehr, dass es mich hätte ruhig bleiben lassen.
»Wild, Zerbrowski, sie jagen Wild. Jean-Claude hat keine neuen Vampire mehr gemacht, seit er mit mir zusammen ist. Aber ich habe fremde Vampire gesehen, die erst zwei Jahre tot waren, und die benahmen sich nicht wie Anfänger. Das hier ist ein Anfängerfehler. Erinnern Sie sich, wie Jack Benchely sagte, in der Kirche bekommen sie Blutspender gestellt, aber dass die es so nüchtern gestalten, dass es keinen Spaß macht?«
»Ja.«
»Was, wenn das Blutsaugen am inneren Oberschenkel von der Kirche tabuisiert und den Mitgliedern nicht beigebracht wird?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie kennen doch die Theorie, wonach Teenager nicht an Sex denken, solange wir ihnen nichts darüber erzählen.«
»Ja.« Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Als jemand, der selbst einmal Teenager war und jetzt zwei Kinder zu erziehen hat, weiß ich, dass das nicht funktioniert.«
»Genau. Aber wenn die Kirche nun genauso denkt? Wenn wir den neuen kleinen Vampiren all das schmutzige Zeug verschweigen, werden sie von selbst nicht darauf kommen und es folglich nicht tun.«
»Das Saugen am Oberschenkel grenzt für die Kirche an Oralsex«, sagte er ohne jeden neckenden Unterton. Er war ganz auf die Arbeit konzentriert.
Ich nickte. »Genau.«
»Aber Avery, unser ganz junger Vampir, ist von selbst darauf gekommen und hat es versucht, aber nicht gewusst, wie es richtig geht.«
»Ja, und ohne die richtige Anleitung wusste er nicht, wie gefährlich es sein kann. Das ist wie mit den beiden Teenagern, die ein Kind zeugten, weil sie eine Schokoriegeltüte als Kondom benutzt haben.«
Zerbrowski sah mich an. »Sie scherzen.«
»Das habe ich nicht erfunden, Ehrenwort. Wenn man die jungen Vampire nicht aufklärt, tun sie etwas Dummes und mitunter gefährliche Dinge, durch die jemand zu Schaden kommt und sie selbst getötet werden. Beim Blutsaugen ist Unwissenheit kein Segen, genauso wenig wie beim Sex.«
Er betrachtete die Tote.
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