Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
weitergehen wollte. Er wollte zu mir kommen. Er hatte keinen leeren Gesichtsausdruck wie ein Zombie, sondern er lächelte und war in seiner Haut sehr präsent. Doch ich hatte ihn gerufen, und die Pistole an seiner Brust konnte diesen Befehl nicht aufheben.
»Stopp«, sagte ich.
Avery drückte nicht mehr gegen die Waffe, sondern stand abwartend da. Er sah mich an, wie es nur der beste Freund tun sollte, aber ich hatte nichts dagegen. Ich wollte ihm das Hemd aus der Hose ziehen und mich an seiner Haut reiben. Es war ein sexueller Drang, ja, aber auch der Instinkt, der Hunde treibt, sich in stinkendem Zeug zu wälzen. Er roch so gut und ich konnte den Geruch mitnehmen und nach Herzenslust erkunden. Ich wusste in dem Moment, dass Wölfe und Hunde Gerüche sammeln wie Menschen Steine oder Zimmerpflanzen – nur weil sie sie mögen und schön finden. Manche Gerüche machen glücklich wie etwa die Lieblingsfarbe. Dass der Teil in mir, der von Richard kam, den Geruch von Schweiß und Sperma schön fand, war ein Rätsel für einen anderen Tag. Jetzt versuchte ich, nicht weiter darauf einzugehen, um nicht auch noch physisch zu tun, was ich metaphysisch gerade getan hatte.
»Ich bin wieder klar, Zerbrowski.« Aber ich klang geistesabwesend und träge von Macht. Daran konnte ich nichts ändern, aber immerhin konnte ich stehen, als er mich auf die Füße zog. Applaus für mich. Ich machte einen Schritt nach vorn und sagte: »Alles in Ordnung, Marconi. Ich habe ihm befohlen, zu mir zu kommen.«
Marconi machte ein komisches Gesicht. »Aber nicht laut.«
Ich zuckte Achseln. »Das tut mir leid.« Aber ich sah nicht ihn an, sondern Avery. Ich sah ihn an wie einen Geliebten, aber das knüpfte sich ausschließlich an Fressen und Witterung und Dinge, die so wenig menschlich waren, dass ich Schwierigkeiten hatte, sie gedanklich zu verarbeiten. Ich wollte meine Duftmarke an ihm setzen. Er gehörte mir. Ich wollte seine Gerüche an mir haben und darüber nachdenken, was sie bedeuteten. Sie waren wie ein Foto von einem Mordschauplatz, das ich mit mir herumtragen und immer wieder nachdenklich betrachten konnte. Der Geruchssinn war auf der Skala meiner Sinne vom untersten bis auf einen Platz hinter dem Sehsinn aufgestiegen, und was ihn dort hielt und nicht weiter aufsteigen ließ, war die Tatsache, dass ich zu sehr Primat war, um meiner Nase so sehr zu trauen.
»Steckt die Waffen weg«, sagte Zerbrowski. »Willkommen in der weiten Welt des wirren Vampirzeugs.« Er klang nicht glücklich. Aber ich guckte nicht hin, um zu erfahren, welches Gesicht er dazu machte, denn ich wollte Avery nicht aus den Augen lassen.
Er war ein bisschen zu adrett für meinen Geschmack. Die weichen hellbraunen Haare hatten einen Kurzhaarschnitt, wie ihn ein Vater oder Großvater getragen hätte. Eine Frisur, die seit fünfzig Jahren nie richtig aus der Mode gekommen war. Seine Augen war auch hellbraun, die Brauen dunkler als die Haare und sie beschrieben einen perfekten Bogen, für den die meisten Frauen zupfen mussten. Er hatte keine dichten Wimpern, aber das fiel kaum auf, weil sie dunkel waren. Sein Gesicht war ein weiches Oval. Wäre der dunkle Bartschatten nicht gewesen, hätte er noch jünger ausgesehen. Er war über einsachtzig groß, kam einem aber kleiner vor, warum, war mir nicht ganz klar. Alles an ihm sprach davon, dass ihm noch nie etwas sonderlich Schlimmes passiert war. Es war nicht nur das Gesicht und die Farbgebung, was ihn weich und zahm erscheinen ließ, sondern alles an ihm. Meinem Eindruck nach war er vom Leben nicht nennenswert geprüft worden. Wie kann man Vampir sein und so weich bleiben?
Ich nahm Trauer und Schmerz bei ihm wahr, aber er fühlte sich nicht, als hätte er gerade eine Frau umgebracht, ob mit Absicht oder versehentlich. Täuschte ich mich? Oder war er nicht der einzige Vampir in dieser sauberen Wohnung gewesen?
Avery stand vor mir und blickte mich traurig an. Wusste er es? Hatte er es getan?
Es klopfte an die Kirchentür. Ich glaube, alle zuckten zusammen. Man klopft nicht an eine Kirchentür. Man geht rein oder bleibt draußen, aber man klopft nicht an. Jemand rief: »Sergeant Zerbrowski?«
Zerbrowski ging hin und schaute nach draußen. Als er zurückkam, hielt er einen Umschlag in der Hand. Das Schriftstück darin war dicker als sonst, aber die meisten Zusätze drehten sich darum, mich vor dem Gefängnis zu bewahren, und taten nicht das Geringste für Averys Gesundheit.
Zerbrowski kam zu mir und hielt mir den
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