Blinder Hunger: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
wenig. Das Gesicht war trotzdem nicht zu erkennen. Ich benutzte Malcolms Kräfte, aber auch meine eigenen, und die stellten eine viel intimere Form der Magie dar. Ich legte auch die andere Hand an Averys Gesicht, und der Nebel wurde noch dünner. Aber es blieb bei der Unschärfe. Es war, als sähe man einen Film, der an einer Stelle zerkratzt ist. Ich war so sehr erpicht darauf, die Unschärfe zu durchdringen, dass ich auf das übrige Geschehen nicht achtete. Avery und die sehr lebendige Sally Cook kamen sich schnell näher. Entweder ließ meine Fähigkeit, verlegen zu werden, nach, oder ich war zu sehr auf die Arbeit konzentriert. Ich war auf die Arbeit konzentriert.
Mir war bekannt gewesen, dass Vampire aus der Erinnerung von Menschen Stunden oder auch Tage löschen konnten, aber nicht, dass sie die Bilder stellenweise unscharf machen konnten. Diese Gabe war mir neu, und sie war geradezu unheimlich. Neu und unheimlich.
Mehr Berührung half offenbar, denn, ob es mir passte oder nicht, Jean-Claudes und meine Kräfte wuchsen mit dem Körperkontakt. Ich beugte mich über Averys Gesicht, das ich noch mit beiden Händen hielt, und küsste ihn. Er schloss die Augen nicht, aber ich. Beim Küssen immer. Meine Lippen berührten seine, und die Frau auf der anderen Seite des Bettes hatte braune Haare. Der Kuss wurde fester, und die braunen Haare waren leicht gewellt und füllten Averys Hand. Sie fühlten sich weich an. Sie wandte ihm das Gesicht zu, und es verschwamm erneut. Ich konnte es nicht erkennen. Na schön, dachte ich. Ihren Namen, Avery, nenn mir ihren Namen. Doch es herrschte knisternde Stille in seinem Kopf. Scheinbar konnte sie sich auch in dieser Hinsicht schützen.
Ich sah alles durch Averys Augen. Bei einem kurzen Blick nach unten entdeckte ich, dass er nackt war. Auch die beiden Frauen waren nackt, aber das Gesicht der Unbekannten blieb unkenntlich.
Ohne den Kuss zu unterbrechen, ging ich auf die Knie. Er schob die Hände um meinen Rücken, und als wir uns aneinanderdrückten, ließ ich mich in das Gefühl seiner Umarmung, seines Körpers sinken. Ich gab mich dem Kuss, der Umarmung hin, und es löste einen Lichtblitz im Gedächtnis aus. Die Farben wurden kräftiger, und ich wusste plötzlich, wie Sally Cooks Mund schmeckte. Ich roch Parfüm, ein aufdringlicheres mit mehr Alkohol darin und ein pudriges, moschushaltiges, das teuer gewesen war. Das Gesicht der Vampirfrau war jetzt glasklar zu erkennen. Sie hieß Nellie, war ein Meistervampir und war ihm im Stripclub begegnet, nicht in der Kirche. Sie hatte die Stripperin mitgebracht, die Avery als Morgana kannte.
Auf einmal hatte ich Zugang zu allem, was Nellie je zu ihm gesagt hatte, als hätte ich einen Computer gehackt. Die Informationen strömten nur so. Sie erzählte von ihrem Meister, den Avery aber nicht kennenlernte. Ihr Meister sei ein echter Meistervampir, nicht wie Malcolm, sondern jemand, der wisse, wie man jagt, wie man Blut saugt, wie man ein wahres Raubtier sein kann. Avery versuchte, wieder auf Distanz zu gehen, aber sie bedrängte ihn. Der Gedanke führte zu einer Erinnerung von Nellie und einer anderen Vampirfrau, die ihr sehr ähnlich sah, wie eine Schwester, fast wie eine Zwillingsschwester. Sie hieß Nadine und war viel jünger und viel schwächer. Als ich die Ähnlichkeit sah, fiel mir auf, dass sie auch Avery ähnlich sahen. Sie hatten alle das gleiche weiche, braune Haar, das gleiche weiche, ovale Gesicht mit hellbraunen Augen. Avery hätte ihr Bruder sein können. Nadine und Nellie stritten sich, nachdem sie Sex mit ihm gehabt hatten. Nadine wollte ihn nicht mehr ständig mit Nellie teilen.
Avery nahm das als Vorwand, auf Distanz zu gehen, aber dann kreuzte Nellie an dem besagten Abend im Club auf und hatte Morgana bei sich. Sie boten sich ihm an, und er lehnte nicht ab. Ich spürte sein Schuldgefühl. Es war echt. Er hatte gegen so viele Vorschriften der Kirche verstoßen. Der Club, die Stripperin und Nellie waren gefährlich für ihn, das war ihm klar, aber nicht, wie gefährlich.
Er sättigte sich an Morgana durch einen Biss in den Hals, dann hatte er Sex mit Nellie. Danach glaubte er, der Abend sei vorbei, doch Nellie begann Morgana zu lecken und wollte, dass er Blut an deren Oberschenkel saugte, an der intimsten Stelle, doch er bekam es mit der Angst zu tun. Vielleicht lag es an Nellies Blick. Sie strahlte Härte aus, und er wusste, wenn er jetzt nicht aufstand und ging, würde sie ihn zu allem überreden können.
Er griff
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