Blinder Passagier
in der digitalen Uhr, die heiße Luftströmung der Heizung, meinen Atem. Ein Wagen fuhr in meine Einfahrt, und ich ging rasch zur Haustür, während ein Polizist mit einem Schlagstock oder Totschläger gegen meine Tür klopfte, statt zu klingeln.
»Polizei«, sagte eine Frau mit sachlicher Stimme. Ich ließ sie ein.
Es waren zwei Beamte, eine junge Frau und ein älterer Mann. Das Namensschild der Frau identifizierte sie als J. F. Butler, und sie hatte etwas an sich, was nicht ohne Wirkung auf mich blieb.
»Die Zone ist die Küchentür, die in den Garten hinausführt«, sagte ich zu ihnen. »Ich danke Ihnen, dass Sie so schnell gekommen sind.«
»Wie heißen Sie?«, fragte mich ihr Partner, R.I. McElwayne.
Er tat so, als wüsste er nicht, wer ich war, als wäre ich eine Frau in mittleren Jahren in einem Bademantel, die zufällig in einem hübschen Haus in einer Nachbarschaft lebte, in der selten die Polizei gerufen wurde.
»Kay Scarpetta.«
Sein strenges Verhalten wurde etwas lockerer, und er sagte: »Ich wusste nicht, ob es Sie wirklich gibt. Habe viel von Ihnen gehört, war aber nie im Leichenschauhaus, kein einziges Mal in achtzehn Jahren. Wofür ich dankbar bin.«
»Weil damals Autopsien und das ganze wissenschaftliche Zeug noch nicht auf dem Lehrplan standen«, hackte Butler auf ihm rum.
McElwayne versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, während er sich neugierig umschaute.
»Sie sind jederzeit herzlich willkommen, sich eine Autopsie anzusehen«, sagte ich zu ihm.
Butler war hellwach, ihr ganzer Körper von gespannter Aufmerksamkeit. Sie war vom Gewicht ihrer Karriere noch nicht träge geworden im Gegensatz zu ihrem Partner, dessen Hauptinteresse im Augenblick meinem Haus und mir galt. Er hatte während seiner Laufbahn wahrscheinlich tausende Autos abschleppen lassen und ebenso häufig auf falsche Alarmmeldungen reagiert, alles für wenig Geld und noch weniger Anerkennung.
»Wir würden uns gern umsehen«, sagte Butler zu mir und schloss die Haustür ab. »Und hier unten damit anfangen.«
»Bitte. Schauen Sie sich um, wo immer Sie wollen.«
»Wenn Sie hier bleiben würden«, sagte sie und ging auf die Küche zu. Und dann war es mir schlagartig klar, und eine Woge von Gefühlen erfasste mich völlig unvorbereitet.
Sie erinnerte mich an Lucy. Es waren ihre Augen, ihr gerader Nasenrücken und ihre Art zu gestikulieren. Lucy konnte nicht sprechen, ohne ihre Hände zu bewegen, als würde sie ein Gespräch dirigieren. Ich stand in der Diele und hörte ihre Schritte auf dem Holzboden, ihre gedämpften Stimmen, das Schließen von Türen. Sie ließen sich Zeit, und ich dachte, dass es Butler war, die dafür sorgte, dass sie keinen Flecken übersahen, der groß genug war, um einem Menschen als Versteck zu dienen.
Sie kamen die Treppe wieder herunter und gingen hinaus in die eisige Nacht, der Schein ihrer starken Taschenlampen schweifte über Fenster und Jalousien. Sie blieben eine Viertelstunde draussen, dann klopften sie, um wieder eingelassen zu werden. Wir gingen in die Küche, McElwayne hauchte auf seine kalten roten Hände. Butler hatte mir etwas Wichtiges mitzuteilen.
»Wissen Sie, dass im Rahmen ihrer Küchentür eine Delle ist?«, sie mich. »Nein«, sagte ich erschrocken.
Sie schloss die Tür neben dem Tisch auf, an dem ich allein und auch mit Freunden aß. Raue eiskalte Luft drang herein, als ich mich ihr näherte, um mir anzusehen, wovon sie sprach. Sie leuchtete mit der Taschenlampe auf eine kleine eingedrückte Stelle im Schließblech und am Rand des hölzernen Rahmens, wo jemand anscheinend versucht hatte, die Tür aufzubrechen.
»Sie könnte schon eine Weile da sein, ohne dass Sie es bemerkt haben«, sagte sie. »Wir haben hier nicht nachgesehen, als am Dienstag ihre Alarmanlage losging, weil der Alarm damals in der Garage ausgelöst wurde.«
»Bei mir wurde am Dienstag Alarm ausgelöst?«, fragte ich verwundert. »Davon weiß ich überhaupt nichts.«
»Ich geh raus zum Wagen«, sagte McElwayne zu seiner Kollegin, als er sich die Hände reibend die Küche verließ. »Bin gleich wieder da.«
»Ich hatte tagsüber Dienst«, erklärte sie mir. »Wie es scheint, hat ihre Putzfrau ihn versehentlich ausgelöst.«
Ich konnte nicht begreifen, warum Marie den Alarm in der Garage ausgelöst haben sollte, außer sie hätte aus irgendeinem Grund das Haus über die Garage verlassen und das warnende Piepsen zu lange ignoriert.
»Sie war ziemlich fertig«, fuhr Butler fort. »Konnte sich offenbar
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