Blinder Rausch - Thriller
Ein großes Foto war im oberen rechten Viertel abgebildet. Es zeigte Leonie in einem knappen schwarzen Bikini an einem Urlaubsstrand. Die blonden Haare bildeten eine aufgeplusterte, langhaarige Mähne über ihrem Kopf und hatten daher wenig Ähnlichkeit mit den zarten, dünnen Strähnen, die ihr eigentlich nur knapp über das Kinn reichten. »Deine Haare sehen toll aus«, staunte Hanna. »Lag das an dem Wind?« Leonie kicherte. »Nee, ich hab das Foto vorher bearbeitet.«
»Und so was kann ein Computer?«, erstaunte sich Hanna.
»Klar, und noch viel mehr! Hanni, es ist höchste Zeit, dass wir dich heute endlich auch mal bei MYFRIENDS anmelden. Hast du ein Foto dabei?« »Kann man es auch so bearbeiten, dass man dünner darauf aussieht?« »Klar, kein Problem! Aber, jetzt sag erst einmal, welchen Nickname du haben willst.« »Nickname?« »Ja, so eine Art Deckname, damit nicht gleich jeder weiß, wer du bist. Sieh hier, bei mir steht Lionheart.« »Den scheinen aber schon viele zu kennen, denn in der Schule nennen dich manche so.« »Ja, irgendwann fliegt so was immer irgendwie auf. Ist halt so«, meinte Leonie ungerührt. »Warte, ich zeig dir mal was anderes.« Leonie klickte weiter. Ein neues Foto erschien. Blonde Strähnchen, die unter dem schmalen Hutrand hervorlugten. Verspiegelte Brille. Hochgeschlagener Mantelkragen. Sein Nickname war Chrystalboy.
»Sieht er nicht oberaffengeil aus?«, strahlte Leonie. »Und der Nickname. So magisch!«
Hanna verzog das Gesicht. »Wie hast du ihn dann überhaupt gefunden, wenn er einen anderen Namen hat?« »Das hat mich zwei Stunden Lebenszeit gekostet, bei MYFRIENDS alle möglichen Bilder durchzuklicken«, Hanna schüttelte verständnislos den Kopf. »Und was bedeuten die vielen kleinen Bilder auf der linken Seite?«
»Das sind all die, die anfragen, ob sie mit ihm befreundet sein dürfen«, erklärte Leonie.
»So viele?«
»Ja, kann man doch verstehen.« Leonie klickte die einzelnen Bilder an. Sie erschienen dann in Großformat mit der Anfrage als Untertext. »Guck, hier bin ich!« Wieder das Bikinifoto. Darunter stand: Hey Freddy, schreibst du mir mal? Find dich cool. Lionheart . Hanna schüttelte den Kopf. »Und wie geht das dann weiter? Also, wenn er zum Beispiel meint, dass er mit dir befreundet sein will?« »Ganz easy, er klickt die Fotos von den Leuten, die er haben will, einfach an und zieht sie in seine Liste der Freunde. Wer auf dieser Liste ist, hat Einblick auf seine ganze Seite.«
»Und was ist da?«
»Da können sich alle Freunde miteinander und mit ihm über alles Mögliche unterhalten. Das können dann aber nur er und die Freunde sehen. Und es bleibt in gewisser Weise geheim.« »Geheim? Bei so vielen Freunden?«
»Na ja, wenn du erst mal unter den Freunden bist, kannst du noch in andere Listen aufgenommen werden, zum Beispiel vbfs, das sind die very best friends oder, was ein Traum ist: OL .«
» OL ? Ist das LOL , was Oli manchmal reinruft, wenn Benjamin etwas gesagt hat?«, fragte Hanna. Leonie kicherte. »Omannoman, Hanna, du kriegst ja wirklich nichts auf die Reihe in deiner Veganer-Gemüsekiste. LOL heißt laughing out loud. So viel Englisch verstehst du ja wohl und OL ist Only Love. In die Liste nimmt er nur die Person auf, na ja, du weißt schon …«
»Und da wärst du gerne?«, hakte Hanna nach. Leonie seufzte. Plötzlich schrie sie auf: »Das gibt’s doch nicht!« »Was denn?« »Denise! Sie ist aus der Liste der Anfrager verschwunden und, schau hier, hier steht sie! Er hat sie bei den Freunden aufgenommen. Das ist ganz frisch! Heute Morgen vor der Schule war ich auch schon mal online und da war sie noch bei den Anfragern. Shit! Shit! Shit! Oh, warte, das gibt Rache.« Leonies Finger flogen über die Tastatur. Hanna neben ihr schien sich für sie in Luft aufgelöst zu haben. Leonie war zu ihrer eigenen Seite gegangen, hatte den Bereich ihrer vbfs aufgerufen und geschrieben: Hey leute, wisst ihr eigentlich, was Denise für eine bitch ist? Sie wackelt mit dem hintern und schleimt sich bei Frederik Kaufmann ein. Bestimmt redet sie bei ihm schlecht über uns! Ich könnte sie killen, die ratte!
Freitag. Die erste Schulwoche nach den großen Ferien war so gut wie vorbei. Zweite Pause. Frau Landmann hatte Hofaufsicht. Die Sonne stach heiß aus einem wolkenlos blauen Himmel. Die Lehrerin rückte die Sonnenbrille auf ihrer schwitzigen Nase zurecht und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das dunkelbraune kurz geschnittene Haar, in das sich
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