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Blinder Rausch - Thriller

Blinder Rausch - Thriller

Titel: Blinder Rausch - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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gemeldet.
    Leonie zieht ihr Handy aus der Tasche. Das Display zeigt keine SMS und keine versäumten Anrufe.
    Vom Geräusch knirschender Schritte aufmerksam geworden, erblickt sie Benjamin auf dem schmalen Kiesweg. Das Wasser tropft vom Rand seines schwarzen Hutes. Der weite schwarze Mantel umweht ihn wie ein gebrochenes Flügelpaar. Leonie mustert seine Gestalt. Im Regendunst wirken die Bewegungen, als schwebe ein Unheil bringender Geist auf sie zu. Der Mantelkragen ist hochgeschlagen. Umgeben vom dunklen Stoff schimmert das Gesicht mit tiefen Augenhöhlen. Leonie erschrickt, als Benjamin plötzlich zu reden beginnt: »Hier bist du! Auf einmal warst du weg!« Er springt mit einem großen Schritt zu ihr unter das Dach, zieht den Hut ab und klopft ihn an der Holzbrüstung aus. »Das ist genau das richtige Wetter für Beerdigungen. Sogar der Himmel heult sich die Augen aus«, sagt er mit spröder Stimme. Es hört sich an, als habe er den ganzen Tag noch nicht geredet und sei aus der Übung gekommen. Leonie hat weder Interesse an Benjamin noch an seinen Kommentaren und starrt regungslos an ihm vorbei in das grüne Gewirr der Friedhofsgewächse.
    Benjamin lehnt sich dicht neben sie an die Brüstung und schaut hinauf zu dem Holzdach. »Hier lässt sich ’s wohl eine Weile aushalten«, erklärt er und mustert Leonie von der Seite. Sie schenkt ihm noch immer keinen Blick. Benjamin steht eine Weile schweigend mit verschränkten Armen neben ihr. Als er noch näher rückt, verschafft sich Leonie sofort wieder deutlichen Abstand. Immerhin konnte sie feststellen, dass er nicht mehr so ungepflegt riecht wie sonst. Sie glaubt sogar, den leichten Duft eines Herrenparfums wahrzunehmen. Seine Haare wirken heller. Er scheint sie gewaschen zu haben, auch wenn sie jetzt wegen des Hutes eng am Kopf anliegen. Benjamin hat bemerkt, dass sie ihn heimlich gemustert hat und nutzt den Aufwind: »Und was machen wir jetzt?«, fragt er. Fragen dieser Art kennt Leonie von Tobi, ihrem kleinen Bruder. Das »wir« stört sie noch dazu. Eigentlich will sie ihm jetzt eine gehörige Abfuhr erteilen oder doch wenigstens verächtlich die Mundwinkel verziehen, doch sie ist nicht in Stimmung. Heute ist nicht der Tag, um irgendjemandem einen Korb zu geben.
    »Hat dich wohl alles ziemlich mitgenommen, oder warum kriegst du die Zähne nicht auseinander?«, fragt Benjamin. Die aufkeimende Gereiztheit ist in seinem Tonfall deutlich wahrnehmbar. Leonie zuckt mit den Schultern. Sie will jetzt nicht in ein Gespräch gedrängt werden, schon gar nicht will sie streiten. Sie fühlt sich elend und spürt, wie ihr erneut die Tränen aufsteigen. Er soll das bloß nicht merken. Sie presst die Lippen aufeinander, dennoch beginnen ihre Augen zu schwimmen. Benjamin betrachtet sie eine Weile. Er rutscht dabei wieder ein bisschen näher. Leonie bleibt starr, wo sie ist. »Ich dachte immer, du hältst nicht so viel von Denise und das mit ihr würde dir deshalb nicht so viel ausmachen«, erklärt er. Wieder ist da dieses Herausfordernde in seinem Ton. Leonie zuckt mit den Schultern. Sie kann nicht reden, weil sie dann schluchzen müsste. Sie möchte nicht vor Benjamin weinen und tut es dennoch. Er stellt sich jetzt ganz nah vor sie. Plötzlich fasst er ihre Schultern mit beiden Händen und sagt leise: »Mensch, Leo, reg dich doch nicht so auf! Eigentlich müsstest du dich freuen, denn schließlich hast du guten Grund, zum zweiten Mal Geburtstag zu feiern!« Leonie starrt ihn an und vergisst dabei, seine Hände von ihren Schultern zu schieben. Sie sucht in seinen Augen nach einer Erklärung für das eben Gesagte. »Was weißt du?«, stößt sie hervor. Benjamin schlägt den Blick nieder. »Ein bisschen etwas weiß ich immer – aber mich fragt ja keiner«, erklärt er. »Ich habe dich gerade gefragt«, kontert sie. Benjamin nickt lächelnd. »Ja, das hast du. Du bist die Einzige aus dem ganzen Haufen von Arschlöchern aus der 9f, die auch mich mal was gefragt hat. Du bist die Einzige, die mich bei MYFRIENDS nicht gedizzt hat und die Einzige, die in der Schule keine Schimpfwörter über mich an die Wände geschrieben oder mir nachgerufen hat. Weißt du das? Der einzige Mensch weit und breit!« Er macht Komplimente, aber es klingt alles andere als nett. Er schleudert seine Worte heraus wie eine Beschimpfung. »Und manchmal habe ich mich gefragt, warum? Warum lässt diese wilde Leonie ausgerechnet dich in Ruhe?«
    Leonie mustert ihn mit traurigem Blick. Die Wahrheit wird sie ihm

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