Blinder Stolz: Thriller (German Edition)
einem anderen Menschen den Tod an den Hals wünscht.«
»Gütiger Gott.« Wieder schüttelte die Schwester den Kopf, sodass die Perlen klackerten. »Tut mir leid, Sir, aber sie kann Ihnen nicht helfen. Bei Orens letzten Besuchen hat sie ihn noch nicht einmal mehr erkannt oder mitbekommen, dass er überhaupt da ist.«
Dodge erkundigte sich, wie oft Oren seine Mutter besucht hätte und wann er das letzte Mal dort gewesen sei.
»Ist schon eine ganze Weile her«, antwortete Glenda. »Mindestens ein paar Monate. Ehrlich gesagt … mal ganz unter uns, und ich sage das nur, weil das arme Ding uns sowieso nicht hören kann.«
»Meine Lippen sind versiegelt.«
Sie beugte sich vor. »Ich mochte ihn nicht«, flüsterte sie.
»Niemand mochte ihn. Ich kannte ihn noch nicht mal und mochte ihn auch nicht.«
»Wenn Sie mich fragen, war er nicht ganz richtig im Kopf. Man hatte immer ein komisches Gefühl, wenn man sich mit ihm unterhalten hat, verstehen Sie?«
Dodge nickte.
»Ich war immer froh, wenn ich ihn von hinten sah.« Mit verblüffender Zärtlichkeit streichelte Glenda mit ihrer Pranke Mrs Starks’ dürren Arm. »Die arme alte Dame. Nicht mal meinem ärgsten Feind würde ich wünschen, dass er so daliegen muss, aber in ihrem Fall bin ich froh, dass sie nicht mitbekommt, wie tief ihr Junge gesunken ist. Das hat sie nicht verdient. Nicht nach dieser anderen traurigen Geschichte.«
Dodges Herzschlag setzte kurz aus, und die Härchen auf seinen Armen richteten sich auf. »Glenda, meine Hübsche.«
»Ja?«
»Welche andere traurige Geschichte?«
»Musst du wirklich schon gehen?«, fragte Berry, als Ski ihr an der Hintertür einen Abschiedskuss gab.
»Die Pflicht ruft. Ich muss vor den Medien ein offizielles Statement abgeben. Die werden alles wissen wollen, bis ins kleinste Detail.«
»Kommst du zum Abendessen wieder? Ich schätze, Mutter würde sich besser fühlen, wenn du hier wärst.« Sie rieb sich aufreizend an ihm. »Und ich würde mich auch besser fühlen.«
Er vergrub das Gesicht an ihrem Hals. »Falls das überhaupt möglich ist.«
»Ich bin ein schamloses Flittchen«, sagte sie lachend.
»Ich habe es dir auch nicht gerade schwer gemacht.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. »Halt meinen Platz schön warm.«
Sie winkte und sah ihm wie ein liebeskranker Welpe nach, bis er in seinen Geländewagen gestiegen und davongefahren war. Dann ging sie nach oben in das Gästezimmer.
Als sie eintrat, fiel ihr Blick auf den Beutel mit Orens Geschenken, der auf dem Bett lag. Bei seinem Anblick überlief sie ein Schauder. Sie hatte ihn am Morgen aus dem Kleiderschrank des Zimmers geholt, in dem Dodge bis gestern Abend geschlafen hatte. Nach Skis Anruf waren sie überstürzt ins Krankenhaus aufgebrochen, um dabei zu sein, wenn Oren das Bewusstsein wiedererlangte. Sie hatte den Beutel samt Inhalt auf dem Küchentisch liegen lassen.
Wer hatte die Sachen eingepackt und wieder nach oben gebracht? Sie wollte die Sachen nicht ständig sehen müssen, aber anfassen wollte sie sie genauso wenig, also ließ sie den Beutel, wo er war. Sie sehnte sich nach den wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut, der kühlen Umarmung des Sees. Bestimmt würde eine Runde Schwimmen helfen, die Gedanken an die letzten Momente von Oren Starks’ Leben aus ihrem Gedächtnis zu verbannen.
Eilig zog sie ihren Badeanzug an, rannte die Treppe hinunter und betrat das Zimmer ihrer Mutter. Eigentlich hatte sie vorgehabt, sie nach dem Beutel zu fragen, doch Caroline lag zusammengerollt und mit dem Kissen, auf dem Dodge geschlafen hatte, im Arm auf ihrem Bett. Wahrscheinlich hatte sie sich in den Schlaf geweint. Berry beschloss, sie in Ruhe zu lassen.
Sie trat ans vordere Ende des Anlegers, sprang ins kühle Wasser und blieb so lange unter der Oberfläche, wie ihre Lungen es zuließen, ehe sie sich hochschnellen ließ und mit kräftigen Kraulbewegungen hinauszuschwimmen begann. Die Anspannung in ihren Armen wich einem angenehmen Brennen.
Nach einer Weile drehte sie sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Sie paddelte sanft vor sich hin, blickte zu den weißen Schäfchenwolken über ihr am Himmel hinauf und dachte an die bizarren Vorfälle, die sich ereignet hatten, seit sie das letzte Mal hier geschwommen war.
So viele grauenhafte Dinge.
Aber auch schöne Dinge.
Sie hatte Dodge kennengelernt, und auch wenn ihre Mutter anderer Meinung war, konnte sie sich nicht vorstellen, dass er sie ein zweites Mal im Stich lassen würde. Er liebte
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